17 Januar, 2020

Dying


"The Big Lebowski" *

Wenn Mann in meinem Alter ist, 
da kann es einen jeden Moment erwischen.


Den inneren Organen ist die jugendliche Plastizität schon seit einer Weile abhanden gekommen, dafür haben sie sich mit Plague und anderen wenig appetitlichen Ablagerungen überzogen.


Mann könnte sich nun Vorwürfe machen, nicht gesünder gelebt, weniger Junk Food gefressen, nicht so exzessiv geraucht und gesoffen und sonstigen Schabernack getrieben zu haben.
Mann könnte sich plötzlich wünschen sich hauptsächlich von Gemüse und Früchten ernährt zu haben, wenn man doch nur statt Whisky mehr Wachholderblütentee gesüffelt und die Pfoten von den Weibern hätte lassen können, jedenfalls von denen die nicht gut taten, dann könnte man noch ein paar gute Jährchen mehr auf dem Kreditkonto des Lebens haben. Sozusagen eine Gutschrift für tadelloses Betragen, einlösbar nach der, ursprünglich vom Grossen Programmierer geplanten, Deadline.


However ...... letzte Nacht träumte mir, ich sei gestorben.


Keine grosse Sache übrigens, es ist ein wenig wie eine Mischung aus einem mittelmässigem Orgasmus und einer wohldosierten Prise Pefferspray, die mir eine ziemlich hinreissende blonde Mitdreissigerin in einer Art langem, weissen Nachthemd verpasste, während wir beide in einem Lift fuhren.
Was mich für einen kurzen Moment irritierte, war, dass sie ein paar riesige goldene Flügel aus so einer Art Latexfolie hatte ... nicht, dass mich sowas stören würde … aber seltsam fand ich's schon.


Mit noch tränenden Augen fand ich mich in einer Bar wieder, vor mir, auf dem Tisch, stand eine halb volle Flasche "Four Roses" und ein fast leeres Glas. Dieser Anblick kam mir bekannt vor, war er doch schon öfter die Erklärung gewesen, für Situationen in denen ich irgendwo wieder zu mir kam.


So sass ich eine Weile benommen da, hörte Barry White zu, der seine Frau anflehte, die selbe Alte zu bleiben, die sie schon immer gewesen war, untermalt vom gedämpften Bollern von Billardkugeln auf Filz und den scharfen Klacks wenn sie sich berühren, es roch nach angebranntem Kafi, abgestandenem Bier, altem Urin und Parfum vom Discounter.


Es sassen ein paar Leute an Tischen, andere lümmelten am Tresen und dahinter die geflügelte Blondine, nur jetzt ohne Flügel. 
Ich füllte, wie sich das gehört, das Glas 2 Finger breit mit Whisky, kippte ihn runter und ging zu ihr rüber.


Sie grinste mich an:
"Na Honey, geht's wieder?"
"Wo bin ich?"
"In der Shuttle Lounge … noch 'n Whisky?"
" … uuund was mach ich hier? … uuund wie bin ich hier hingekommen uuund ..."
" viele Fragen … mein Freund ... komplizierte Antworten … null Bock drauf! … also kein Whisky!?"
Sie drehte sich rum und ging weg.


"Ich will den Geschäftsführer sprechen! Sofort!!!" hörte ich mich ihr nachbrüllen.


Sie drehte sich um, musterte mich wie der Schweinezüchter ein Ferkel und formte tonlos mit den Lippen und rollenden Augen "Oh Gott" dann laut: 
"Durch die blaue Tür da, dann die Treppe hoch … nicht zu verfehlen"


So runtergekommen die Kneipe war, so pompös war der Aufgang hinter der Türe, ein goldener Handlauf und ein Seidenteppich wanden sich in einem weichen s-förmigen Bogen nach oben. 
Weit über mir riesige Dachfenster, mit Blick auf einen endlosen, klaren Himmel.


Schnaufend nahm ich die letzten Stufen, trat in einen einzigen lichtdurchfluteten Raum, hoch über einem dunkelgrünen Wald, unterbrochen von silbern schimmernden Seen und ganz weit hinten am Horizont  blaue Berge mit schneegeweissten Gipfeln.


Der Raum, eine gigantische Halle, mit einem Boden aus tiefschwarzen Schieferplatten ... wie das Innere einer Kathedrale ... war fast leer, bis auf einen einzigen gleissendweissen Liegestuhl und einen purpurroten Sonnenschirm in der Mitte und einem ... kompletten Supermarkt, da wo eigentlich der Altar hingehören würde.


Dort stand ein Mann, zwischen den Regalen, in abgetragenem Bademantel und ausgetretenen Latschen mit einem Tetrapack in der Hand.
Ich ging näher. Als er mich kommen hörte, schaute er rüber  und grinste: 
"Ach Du bist es ... hey Mann, wie gehts?"


Jetzt wurde es echt crazy. Da stand doch tatsächlich Jeff Bridges, winkte mir mit der freien Hand, ich solle näher kommen.


"Sie ... äh ... Du ... bist Jeff Bridges? ... also ... äh ... der Dude? ... ich äh ... warum ... was  ... weisst Du wo wir da sind !?" stammelte ich rum.


"Nein und .. ja_und_nein.. und überall." 


Manchmal und in dem Moment besonders, bin ich ein wenig ... sagen wir mal ... kognitiv leicht unbedarft ... aber zum Glück meist nur eine Weile.
"Ich verstehe!"
Trotz seiner Sonnenbrille konnte ich sehen, dass er das bezweifelte.


"... und Du ... is Dude O.K.? ... wie kommst Du hier hin? Auch mit dem Lift und der Blonden und dem Pfefferspray? "
"Dude is total O.K. ... und ich war schon vor Gabriela hier ... hab sie erst vor ungefähr ... ... "  … er stellte das Tetrapack ins Regal zurück und begann mithilfe seiner Finger was aus zu rechnen, dann murmelte er mehr zu sich selber:
" ... ... na, ja, müssen jetzt dann auch schon so bummelig drei Millionen Jahre sein?! ... doch schon `ne ganze Weile ... mhhh ... dass ich sie eingestellt hab."
Wieder mir zugewendet: 
"Als Türsteher zuerst ... war'n wilde Zeiten damals ... da war sie auch noch keine Frau ... und blond übrigens auch nich ... und statt dem Pfefferspray hatte sie so'n flammendes SchwertDingsbums"
" ... wie Luke Skywalker?" warf ich ein.
Nachdem er mich einen Moment mitleidig angeschaut hatte sagte er gnädig und etwas herablassend "jaaa, so in Etwa ... “
In diesem Moment wurde mir etwas klar: 
"Ich bin tot, oder?"


Er legte den Kopf zur Seite, tippte sich mit dem Zeigefinger an die Nasenspitze 
"Also genau genommen, nicht, du bist nur vorm Fernseher eingepennt und träumst."


Diesmal arbeitete mein Hirn, das vermutlich ebenso froh war wie ich, nicht tot zu sein, blitzschnell.
"Oh mein Gott !!! ... äh ... Du bist Gott, oder?"
"Ich dachte wir hatten uns auf 'Dude' geeinigt !?, … aber, ja, das bin ich wohl"
"Ja, gut ... also Dude!"


Mir wurde ziemlich deutlich nach einem Whiskey zumute.
"Also ich ... "
Gott ... ähm  ... `Der Dude` ... grinste mich an, als habe er grad meine Gedanken gelesen.
" 'Wild Turkey` richtig?" fragte er.
"Verdammt ... äh sorry ... sehr gern!"


Er machte eine Handbewegung wie Obi-Wan Kenobi als er zu dem Stormtrooper sagt: 
"These aren't the droids you're looking for."
An seinem Arm baumelt unvermittelt ein  Einkaufskorb in diesem etwas unentschiedenen Orange, wie die Migros sie benutzt, darin alles für einen "White Russians" und eine Flasche von meinem Lieblingswhisky.


Gleichzeitig hörte ich hinter mir ein leises Rumpeln. Als ich mich umdrehte, standen dort, wo vorher nur ein Liegestuhl und der rote Sonnenschirm gestanden hatten, nun je zwei und dazwischen ein Bartischchen, mit zwei Gläsern drauf an einem langgestreckten Sandstrand in einer palmengesäumten Bucht, davor lag ein grüner Ocean. Der Supermarkt, der gesamte Raum war verschwunden und ein warmer, unaufdringlich nach Vanille und Ingwer duftender Wind wehte mit der Brandung heran.


"Is wohl nicht so übel, Gott zu sei, oder?" rutsche mir raus
"Deswegen hab ich den Job anfangs auch angenommen, wirklich cool, wenn man überall hin kommt… dazu noch absolut klimaneutral" nickte der Dude und nach einen tiefen Seufzer und einer kurzen Pause: "… aber dann … die Verantwortung ist doch … sagen wir mal … recht umfassend … ich schlafe schlecht … seit ein paar tausend Jahren … es wäre wohl Zeit für mich … etwas kürzer zu treten … … Ist der Wind angenehm so?"
"Ja … der Wind ist prima. Oder vielleicht, könntest Du den Vanilleduft rausnehmen … ich bekomme manchmal Migräne von Düften …. und, aber … Du könntest doch einfach ...ähm... herzaubern, dass Du wieder gut schläfst!?"
Der Dude lächelte fein: "Ich kann alles 'herzaubern' was ich will ... " dabei machte er eine ausladende Geste über den Ocean, "... aber was ich nicht ändern kann ist mich selber … “


"Weisst Du!?" wandte er sich wieder mir zu "Bis vor so ungefähr 12.000 Jahren hat der Job echt Spass gemacht, die Welt war im Gleichgewicht uns Eins lebte aus dem Anderen … denn eigentlich ist ja alles gemeinsam nur ein einziger grosser Organismus in dem alles Sein seinen Platz, seine Funktion und gleichwertige Berechtigung hat. 
Als dann die Menschen sesshaft wurden, begannen Häuser und Felder zu bauen, zuerst für schlechte Zeiten, dann aus Machthunger und Ehrgeiz so viel wie möglich zusammen zu raffen ..  da war es vorbei mit Lustig."
Ich holte tief Luft um zu antworten … ohne eigentlich zu wissen was.
"Richtig!" sagte der Dude "Da gibt's nicht dazu zu sagen … so sind sie halt, die Menschen"


Ich nickte … wer war ich schon, dem Dude zu widersprechen … ausserdem stimmte es!
“Aber … warum bin ich hier?” zwang mich mein unendlicher Zwang, alles zu ergründen, dann doch zu fragen.


“Komm Mann, setzen wir uns erst mal” während er auf die Liegestühle zeigt forderte er mich auf.
Er mixte sich mit einem Fingerschnippsen einen “White Russian” und gleichzeitig füllte sich mein Glas - wie sich das gehörte- 2 Finger breit mit “Wild Turkey”.


Der Dude nahm einen lange Schluck, saugte sich die Tröpfchen aus dem Bart, lehnte sich zurück und hob den linken Zeigefinger.


“Also … warum Du hier bist …?!”
“ …. …. “
“Warte” unterbrach er meinen Redeansatz.


“Ich hab Dich lange beobachtet … nimms nicht persönlich! … und ich wills mal mit den Worten einer gemeinsamen Freundin sagen … `Du bist seltsam … aber Du hast ein Herz`
… und ich möchte das Alles hier jemandem übergeben! Jemandem, der sein eigenes Ding macht und sich nicht in die Suppe spucken lässt. Verstehst Du?”


“ …. ähm, ich …. “


“Warte” unterbrach er mich wieder.


“Scheisse, nein, Herr Gott” fluchte ich los "… äh Scheisse … äh … sorry! Du willst, dass ich Deinen verdammten Job übernehme??! … … hast Du sie noch alle??!”


“Ganz ruhig Mann” sagte der Dude … nahm einen weiteren Schluck “White Russian”
“... Ich mag Dein Temperament … aber jetzt hör mal zu! … ich würde Dich einarbeiten … und Du könntest erstmal mein Assistent sein … …. “


“ICH ?? … der Assistent von Gott ???? … vielleicht solltest Du mal aufhören diesen Scheiss da zu saufen … Alter … echt jez!”


“Denk mal drüber nach” sagte der Dude und saugte wieder den “White Russian aus seinem Bart.
“Unsterblichkeit, so viel Whiskey wie Du magst, eine unkaputtbare Leber, die schönsten Frauen, Ferien an jedem Ort der Welt, unkündbar, unaussprechliche Macht … und Du könntest alle Kriege beenden und die Klimakatastrophe verhindern, das Arten- und Waldsterben und den Hunger und die Diktaturen, den Kapitalismus … mit einem Fingerschnips beenden … schon lange Dein Traum, nicht wahr?! … Du könntest Trump, Orban, Johnson, Xi Jinping und Gauland in die Hölle verbannen … mit dem Teufel hab ich schon gewhatsapped … er nimmt sie nicht wirklich gern, aber er nimmt sie!
Du könntest wieder 20 sein und Greta Thunberg heiraten … wenn Du auf Zöpfchen stehst … oder Mila Kunis … na, ja … egal auf was Du stehst … sie ist echt nicht übel … das nur am Rande …
Was meinst Du … verlockend … oder?!”


Ich setze mich in meinem Liegestuhl auf, stellte meinen Kentucky Straight Bourbon beiseite … was ich sonst nie täte!!! niemals! …  und schaute Gott fadengrade in die Augen.


“Meine Meinung, Sir, ist, dass sie ein verdammter Hosenscheisser sind und sich zu drücken versuchen, vor Ihrer Verantwortung, Sir. Meine Antwort ist ein einfaches “Fuck You!”


“Bravo!!” hörte ich ihn noch sagen  … bevor ich mit der blonden Mitdreissigerin und ihren Latexflügeln wieder Lift fuhr … diesmal in die andere Richtung "... nicht so übel für ... einen Menschen" sagte sie zum Abschied. … während ich schweissgebadet erwachte, mit diesem unverwechselbaren holzigen Nachgeschmack von Whiskey auf der Zunge ... 
… und auf meinem Nachttisch stand noch eine halb leere Flasche von dem billigen Fusel aus der Landi.

* ist eine Filmkomödie aus dem Jahr 1998 von Ethan und Joel Coen mit Jeff Bridges in der Hauptrolle.