31 Oktober, 2020

WORKING


Der Sommer ist vorbei.

Ich habe mir angewöhnt, am Anfang der warmen Monate und in der Mitte des Sommers meine Ferien zu nehmen. Jetzt ist Herbst mit nur einem Ausgang: dem Winter.


Keine Ferien mehr in Sicht.

Das sind zwei so unvereinbare Welten - die  Zeit des FreiSeins und die unsäglichen langen Monate des Eingepresstseins in die Arbeitsbedingungen.


Als ich vielleicht 6 oder 7 Jahre alt war, gehörte ein Zwillingspärchen zu meinen Freunden. Zwei Mädchen mit denen ich zur Schule ging, beide mit der gleichen Bubikopffrisur und den selben Kleidchen und den identischen Schuhen sassen sie neben mir in der 1. Klasse bei Frau Orth in der  Grundschule.

Sie faszinierten mich … diese gedoppelten Menschlein … und  süss fand ich sie … doppelt süss.

So wurden wir drei Freunde und luden uns zu unseren Geburtstagen ein und spielten zusammen und ich sass zwischen ihnen im Matsch der Baustelle vor dem Haus, sie in Kleidchen und Lackschuhen und ich in Cordhose und Sandalen. Wir bekamen alle drei Ärger, nachher mit den Eltern. Während ich aber … mehr oder weniger … darauf schiss und weiter im Matsch sass und Ärger bekam … wurden die beiden Mädels sittsam und ordentlich und weigerten sich mit mir die Baustelle zu besuchen.


Stattdessen luden sie mich ein, sie daheim zu besuchen. Ich konnte sie, im Gegensatz zu meinen Lehrern und Mitschülern, ganz gut auseinanderhalten. 

Susanne war etwas zarter, aber auch zäher, härter und konfrontativer, was sich in iher Mimik ausdrückte. Beate hingegen war lieblich und nahbar und konfliktscheu, sie war die, die sich manchmal an mich drückte und scheu lächelte und dann schnell wegschaute. Ich mochte sie beide.


Was ich aber eigentlich erzählen wollte, ist, dass, als die beiden nicht mehr neben mir im Matsch zu sitzen trauten, und ich zu ihnen heim in ihre Kinderzimmer musste …


…diese Mädchenzimmer, jede hatte unglaublicherweise ein eigenes Zimmer, waren rosa und lindgrün … ein unbekanntes Universum in dem ich mir vorkam wie ein Pavian im Louvre … es machte mir Angst und gleichzeitig machte es mir grosse Augen …


Die Eltern von Susanne und Beate waren wohl ziemlich reich … denn  sie wohnten an der Strasse die zum Schloss führte … wo nur die „besseren Leute“, wie meine Oma sie nannte, wohnten. Das waren Leute mit grossen dunkelblauen Autos und Schäferhunden und ohne Untermieter.


… also wir sassen in diesem Kinderzimmer und ich war gespannt, was die beiden mir denn nun zu bieten hätten, was besser wäre, als der Matsch an der Baustelle. Denn nach meiner Erfahrung -damals- gab es nichts besseres als mit zwei Mädels dort zu sitzen, den Dreck zwischen den Fingern zu spüren und den Straßenarbeitern beim Graben und baggern und Teer kochen zu zu gucken.


Susanne stand auf und ging zu einem Vorhang der vor einem Etwas hing - sie zog ihn beiseite und dahinter kam eine Art Puppenhaus zu Vorschein, ein kleiner Tresen, mit einer kleinen Registrierkasse drauf und einer Waage im Miniaturformat und hinter dieser mit einer Wand aus Regalen in denen winzige Holzklötzchen standen. Beeindruckend echt bedruckt mit den Repliken der bekanntesten Produkten der damaligen Zeit.


Es gab Persil und OMO und Tchibo und Coca Cola, es gab Brote und Würste aus Holz und Plastik ganz echt bemalt und Weinflaschen und Käsestücke

Die Cola als Plastikfläschchen in Holzkästchen in Zentimetergrösse und Sahnetorten mit seperaten Stückchen in der Grösse eine  5,- DM-Stückes


Susanne  verteilte die Rollen. Beate und ich waren Papa und Mama und hatten ein Baby dargestellt durch Beates Lieblingspuppe. Der Plot sah vor, das Susanne die Ladenbesitzerin war und wir bei ihr einkauften.

So drückte Beate sich an mich, nannte mich Liebling und hakte sich mit dem einen Arm bei mir ein, während sie auf dem Anderen unser Kind hielt.

Es war nicht ganz klar, was wir kaufen sollten und meine Ehefrau sah mich etwas ratlos an.

"Fleischsalat" entschied ich kurzerhand… weil, den mochte ich gern.

"Ham 'wa nich" gab die Ladenbesitzerin etwas barsch zurück.

"Windeln" sagte Beate "Für unser Baby"

"Ham wa auch nich" sagte Susanne "Aber Waschpulver, zum Windeln waschen, das ham wa da" fuhr geschäftstüchtig fort.

Wir nahmen also ein Mal Persil und einmal Tchibokaffe und Milch und Zucker.

Susanne tippte alles korrekt in ihre Registrierkasse ein. "14 Mark Fünfzig, bitte" sagte sie.

Ich gab ihr zwei 10DM Scheine und sie gab uns raus.

Damit war das Spiel zu Ende. Es gab noch ein paar Variationen in denen aber Susanne immer die Ladenbesitzerin war, lediglich Beate und ich wechselten die Rollen.


Nachdem wir einige Einkäufe gemacht hatten, wobei die gekauften Waren gleich nachher wieder in die Regale geräumt wurden, gab es noch "Kaffee&Kuchen" im Café nebenan des Kaufmannsladen, aus der Puppenküche.

Die winzigen Tässchen waren ebenso leer wie die Waschmittelkartons im Laden gewesen wären und der Kuchen war die Torte aus dem Laden.


Die Mädels waren wirklich voll ausgerüstet! 

Bei mir jedoch blieb eine Mischung aus Langeweile und beinahe tastbarer Sinnlosigkeit zurück.

Das machte nicht wirklich so viel Spass wie die Nachmittage auf der Baustelle, wo alles echt war 

, statt dieses blöden fünften Mals den selben Kafi zu kaufen mit den selben Geldscheinen zu bezahlen. Das einzig schöne war, dass Beate die ganze Zeit an mir hing und mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit küsste. Aber in dem Alter hatte das offenbar nicht den selben Stellenwert für mich, den es ein paar Jahre später haben würde.


Nachdem ich die Zwillinge, eine Weile später, doch noch, ein letztes Mal, rumkriegte, mit mir wieder auf die Baustelle zu gehen und im Matsch zu hocken und den fluchenden Arbeitern zuzugucken, gab es wohl Ärger zwischen meinen Eltern und denen von Susanne und Beate.

Ich durfte jedenfalls nicht mehr  mit den beiden spielen, auch nicht bei ihnen zuhause in den rosa und lindgrünen Mädchenzimmern.


Sie fehlten mir zwar, vor allem Beates Nähe, aber damals war es leicht neue Freunde zu finden und so vergass ich sie nach und nach … fast.


Was aber blieb, war dieses Gefühl von Langeweile, das mich bei allem Geschäftlichen überkommt.

Mir ist jede Form von Handel und Büroarbeit ein unendlicher Graus und diese ganze kapitalistische Welt erinnert mich immer wieder an diesen Kinderkaufladen von Beate und Susanne.


Dann hab ich, vor ein paar Jahren, bei Herrn Waldner, in einer kleinen Garage, irgendwo im Luzerner Hinterland, ein Auto gekauft.

Sicher! … er wollte mir was verkaufen und war auch deswegen freundlich und kommunikativ.

Aber da war mehr … als ich ihm erzählte, dass meine Mutter ins Altersheim muss, sagte er einfach: “Tut mir leid” … von da an war er keine Verkäufer mehr, sondern ein Bekannter.

Nachdem der Vertrag schon unterschrieben war, hatte der Wagen einen kleinen Mangel, der noch unter die von Herrn Waldner gegebene Garantie fiel. Er brachte das in Ordnung, ohne Diskussion ohne Zögern und fragte dann: “... und wie gehts Ihrer Mutter im Altersheim?”


Lange danach haben wir noch mal telefoniert, weil ich ein neues Auto brauchte. ER wusste sofort wer ich war, erkundigte sich nach meiner Mutter und nach dem Auto, das er mir verkauft hatte und erzählte, dass er nun den Betrieb seinem Sohn übergibt und in Rente geht.


Kapitalismus geht auch anders.


Aber eigentlich wollte ich ja über das  Eingepresstseins in Arbeitsbedingungen erzählen.

… - 

aber wenn ich`s mir grad recht überlege, dann hab ich das wohl getan ...


However!

hier kommt noch mein derzeitiges Lieblingsrezept:




13 September, 2020

Smoking

Theodor Beste hat den 2. Weltkrieg angefangen.

Aber das war lange vor meiner Geburt. 


Dann aber, ich war wohl damals wohl so 4-5 Jahre alt, sass ich mit meinen Eltern im Wohnzimmer unserer Mietwohnung und wartete auf Theo, wie er allgemein genannt wurde, denn Theo war unser Vermieter.
Er kam einmal im Monat um die Miete zu kassieren und Haferflocken zu bringen und eine Zigarre zu rauchen. Ein grober Typ, der Theo, großgewachsen und schlank mit einem polierten Glatzkopf und kantigem Gesicht.
Heute, knapp 60 Jahre später, sieht er, in meiner Erinnerung, so aus, wie die Neo-Nazis heute im Fernsehen.
Er zwickte mich immer in die Backe, führte ein Erwachsenengespräch mit meinem Vater und versuchte meine Mutter auszuhorchen, ob wir denn im Haushalt wirklich nichts anderes als Haferflocken benötigten. Sie verneinte mit grossem Durchhaltevermögen, beteuerte, dass wir sonst alles hätten und die Kinder seien ja noch klein und ässen so gern Haferflocken mit Milch und die Milch bekämen wir ja schon von den Ziegen vom Nachbarn gegenüber.
Theo Beste hatte nämlich noch einen Lebensmittelladen und versuchte bei seinen Mietern sich einen kleinen Zusatzverdienst zu erwirtschaften indem er sie nötigte bei ihm einzukaufen.
Alter Dreck sei das, was er verkaufe, sagte meine Mutter, wenn Theo wieder gegangen war, und teuer obendrein, der Halsabschneider, ergänzte sie … aber Haferflocken würden ja nicht schlecht … deshalb … eben … die Haferflocken. 


Dieser Kerl, der mich kniff, unser Wohnzimmer verqualmte und meine Mutter belagerte, hatte also den grossen Krieg angezettelt, von dem alle schwiegen, der gerade dadurch aber noch fast greifbar war.
Nur meine Mutter erzählte von der “schlechten Zeit” von Bomben und Hunger und von ihrem Nachbarn, dem der Kopf weggerissen wurde, weil er ihn aus dem Bunker gesteckt hatte.


So fragte ich sie eines Tages, warum die Leute damals sowas gemacht hatten.
Sie schaute mich etwas irritiert an, vielleicht hatte sie diese Frage von mir nicht erwartet oder - und das scheint mit heute wahrscheinlicher - sie wusste die Antwort nicht.
Ein sehr böser Mann, habe den Krieg angefangen, erklärte sie mir und ich glaube mich zu erinnern, dass sie weinte.


Ich kannte nur einen einzigen bösen Mann, damals: Theo Beste
Ja, ich war ganz sicher, er musste es gewesen sein, nur er hätte so etwas Furchtbares 
tun können. So stellte ich mir den Glatzkopf mit qualmender Zigarre in der einen Hand vor, wie er versuchte den Ausgebombten allen möglichen vergammelten Scheissdreck anzudrehen.


Meine Eltern rauchten beide, meine Grosseltern mütterlicherseits auch.
Der Vater von meiner Mutter ist dann an Lungenkrebs gestorben. 
Aber das war so um 1964 und niemand sah da einen Zusammenhang und alle rauchten weiter, als sei nichts passiert. 
Aber es war etwas passiert: meine Opa war gestorben, den ich sehr gern hatte.
Denn für eine Weile - es mögen wohl ein paar Wochen oder Monate gewesen sein, war ich bei eben diesen Grosseltern einquartiert. 
Die beiden kümmerten sich gut um mich, sie waren so ganz anders als meine Eltern, was ich sehr genoss. Damals war ich noch sehr jung - aber daran erinnere ich mich genau.


In der Wohnung über meinen Großeltern wohnte die Familie Mutschinski.
Vater, Mutter zwei vierschrötige, erwachsene, rüpelhafte und rumlümmelnde Söhne und eine spindeldürre, schwindsüchtig ausschauende, spätpubertäre Tochter. 
Fünf Menschen in einer Dreizimmerwohnung und alle rauchten Kette. 
Manchmal nahm mich meine Oma mit rauf zu “Muschi” wie sie Frau Mutschinski nannte. 
Dann sassen sechs qualmende Erwachsene und ich Zwerg, um den Küchentisch und sobald Einem die Zigarette zu Ende ging, steckte er - oder sie - sich mit der noch glimmenden Kippe sogleich die Nächste an.
Mutschinskis Wohnung war gelb.
Ein krankes, blasses, ins Grau changierendes Gelb, dass wie ein fetter Überzug auf Allen und Jedem lag. Der Kühlschrank war gelb, die Gardinen sowieso, die weissen Oberhemden der Jungs waren gelb, der Platte des Esstisches war gelb, das Trinkglas, in dem ich regelmäßig Apfelsaft bekam von “Muschi”, war gelb, die grauen Haare von den beiden Alten waren gelb und die langen Fingernägel des ewig hustenden Töchterleins waren gelb und ihre Zähne hinter den rot verschmierten Lippen auch. 


Meine Oma rauchte bis sie eine alte Frau war und meine Mutter hörte auf, als sie ihre erste Chemotherapie bekam, das war in den 90ern.


Als ich noch daheim lebte, war an der Aussenwand des übernächsten Hauses eine Zigarettenautomat angeschraubt. Fast abendlich drückte meine Mutter einem von uns Kindern ein paar Münzen in die Hand … ich glaube damals 2 DM … und schicke uns los um dort Zigaretten zu ziehen. 
Ja, “ziehen”, denn der Automat funktionierte rein mechanisch.
Wenn ich auf den Zehenspitzen stand und ein Geldstück einwarf, folgte ein deutlich wahrnehmbarer Klicklaut, dann dauerte es eine Sekunde, bis man hörte wie die Münze weiter nach unten fiel, ganz zum Schluss schepperte sie metallisch im Münzbehälter, man konnte sogar hören ob der voll oder leer war … das Scheppern war immer anders.
Erst dann durfte man eine der Schubladen ziehen, über denen die Schächte mit den verschiedenen Marken standen.


Peter Stuyvesant - “Mit dem Geschmack der grossen, weiten Welt” musst ich holen - nichts anderes … ich war ziemlich zuverlässig glaube ich.
Aber manchmal klemmte die Mechanik, entweder fiel eins der Geldstücke nicht in den Münzbehälter, sondern kam an der Münzrückgabe wieder raus, dann musste man es an der Aussenfläche des Automaten reiben und zwar beidseitig, der beige-gelbe Lack war an einer Stelle schon abgerieben, das blankgescheuerte Metall setzte, wegen des ständigen Gescheuers, keinen Rost an.
Oder es kam auch vor, dass die Schublade von Herrn Peter Stuyvesant sich nicht so weit raus ziehen liess, dass ich die Packung mit den Zigaretten raus bekam.
Dann musste ich meinen Vater holen, der lamentierend über alle beschissenenen Mechaniker dieser Welt neben mir her zum Automaten stapfte. 
Er hatte natürlich mehr Kraft als ich Knirps. Er riss die Schublade einfach auf und grinste mich, während er mir das Päckchen in die Hand drückte, säuerlich an.


Meine erste Zigarette klaute ich bei meiner Mutter. 
Mir war klar, ihren Vorrat an Stuyvesant hatte sie fest im Blick, aber dann schenkte ein Gastarbeiter, mit dem mein Vater sich angefreundet hatte, ihr griechische Zigaretten ohne Filter. Sie rauchte wenige davon, wohl mehr aus Höflichkeit, danach verschwanden sie in der Schrankschublade. So nahm ich dort ein paar raus, sozusagen unter ihrem Radar.


Wir - ein paar Schulkollegen und Freunde rauchten sie im Wald.
Nein, uns wurde nicht schlecht … aber es brannte im Hals … und mir schien es völlig unverständlich, warum meine Eltern das gern hatten. 


Sie, meine Eltern, rauchten auch im Auto wenn wir in den Urlaub fuhren, sie rauchten in der Küche im Wohnzimmer und ich glaube, meine Mutter rauchte sogar im Bett.
Ich habe das als Kind und junger Erwachsener immer als natürlich empfunden - man raucht halt, Punktum !


Die Betreuerinnen im Kindergarten rauchten, die Lehrer in der Schule rauchten … wohlgemerkt 
IN der Schule! Das waren die 60er Jahre.
Herr Leclerc, mein Grundschullehrer, ging paffend vom Pausenhof die Treppe nach oben und erst kurz vor der Türe zum Klassenzimmer konnte er sich nach einem letzten tiefen Zug von seiner Zigarette trennen. Er öffnete das immer selbe Fenster und warf sein Kippe 2 Stockwerke nach unten auf den Rasen, wo sich im Lauf der Zeit eine weisse Fläche aus Zigarettenpapier bildete, ausgedünnt und verstreut nur durch den Rasenmäher des Hausmeisters.


Ich rauchte nicht, bis ich mit meinem Zivildienst anfing am Ende der 70er Jahre. 
Meine ersten Versuche mit den geklauten Griechischen hatten mich für eine Weile immun gemacht. 
Während des Zivildienstes lockte aber etwas Anders, Dope.
Wir bastelten und rauchten mit Leidenschaft Joints und so kam der Tabak durch die Hintertüre wieder zu mir. Zum Glück vertrug sich Shit nicht gut mit mir, meine Erlebnisse damit wurden von Mal zu Mal grenzwertiger und so hörte ich ganz damit auf.


Der Tabak aber blieb, vor allem weil so gut wie alle Freunde rauchte. 
Wir rauchten in ihren Zimmern, in der Küche in meinem Zimmer und auf dem Klo.
Wir rauchten in der Hochschule - wohlgemerkt IN der Hochschule, während der laufenden Vorlesungen. Die Studenten rauchten, Dozenten rauchten, die Angestellten rauchten und in den Aufenthaltsräumen wurde geraucht.
In der Mensa war das Rauchen dann aber doch nicht mehr erlaubt, aber der Qualm drang aus dem Foyer dick herein. Das war in den 80ern und so langsam wurden die Nichtraucher mehr und selbstbewusster und es wehte wirklich ein anderer Wind.


So lange ich einigermassen klar war, rauchte ich wenig, alle paar Stunden Eine, in Gesellschaft etwas öfter, wenn ich Alkohol trank, dann rauchte ich deutlich mehr und wenn ich allein in meiner Wohnung war, dann gar nicht.
Anfang der 90er hörten die ersten Raucher unter meinen Freunden auf mit Zigaretten und beim Job war das Rauchen in den Arbeitsräumen verboten. Es gab nun private Partys, bei denen die Leute, die dort wohnten, drum baten, auf dem Balkon zu rauchen und nicht in der Wohnung. Ich fand das damals lächerlich, rauchte weiterhin wenig aber regelmässig.


Ich erinnere mich, ich lebte damals noch allein in einer 2-Zimmer Studentenwohnung und lud zu einem Geburtstag eine Menge Leute zu mir ein. Den Fussboden meiner Wohnung hatte ich nach dem Einzug, weiss lackiert, man sah jede Fussel, jeden Fleck darauf.
Als die ersten Gäste fragten ob ich einen Aschenbecher habe - ich vermute ich war da schon nicht mehr ganz nüchtern - sagte ich sie sollten einfach auf den Boden aschen.
Ein echt saublöder Fehler - den feinen Staub von der Asche hab ich nachher nie mehr aus der Wohnung gebracht, obwohl ich sie komplett mehrmals putze und alle Kleider aus den Schränken wusch.


Damals gingen die 80er zu Ende, meine zweite Langzeitbeziehung auch. 
So tobte ich mich ein paar Jahre ziemlich aus. 
Alle die Geliebten rauchten mehr oder weniger. 
Am heftigsten aber Brigittchen. Sie qualmte wo sie ging und stand, die brennende Kippe lag auf dem Waschbeckenrand wenn sie ihre Zähne putzte oder duschte, sie rauchte vor dem Sex und der erste Griff, nachdem sie mich los gelassen hatte, galt der Packung Marlboro Light, die immer in ihrer Reichweite war. Manchmal brannten mehrere ihrer Zigaretten gleichzeitig in der Wohnung, weil sie vergessen hatte, dass sie bereits eine angezündet hatte. Der, meist volle, Aschenbecher stand stets neben ihrem Bett, Tag und Nacht und sie leerte ihn erst, wenn beim Ausdrücken der Zigarette die Kippen über den Tisch kullerten.
Die Zeit mit Brigittchen ging zu Ende ... nicht wegen des vollen Aschenbechers ... das hatte andere Gründe und das ist eine andere Geschichte.

Audrey Hepburn und George Peppard "Frühstück bei Tiffany" Regie Blake Edwards 1961

Ich rauchte die ganzen 90er hindurch, wenig aber regelmässig, daheim jetzt dann auf dem Balkon, weil meine damalige Freundin nicht rauchte


Auch im neuen Jahrtausend rauchte ich weiter. Die ersten Verbote kamen, man durfte in den Kneipen und Restaurants nicht mehr rauchen und plötzlich fragten sich alle, wie sie das so lange ausgehalten hatten, den Gestank, den Qualm und die Ignoranz der Raucher.


Dann war Schluss.
Ich sass mit einer Freundin auf dem Balkon, schaute die halb runtergebrannte Kippe an und dachte: “Eigentlich brauch ich das gar nicht … “ ich machte sie aus und nie wieder eine an.
Das war am Anfang des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts.


Heute kann ich den Geruch von brennendem Tabak nicht mehr ertragen … in geschlossenen Räumen sowieso nicht ... und im Freien brauche ich 1-2 m Abstand.
“Warum denn das?” fragte mich ein Freund, der immer noch raucht und immer alles in Frage stellen muss.
Gute Frage!
Na ja, das Rauchen und ich, wir haben eine Geschichte miteinander.

P.S. für die, die meine Geschichte kennen, aus ihrer eigenen Perspektive, möchte ich hier anmerken, dass dies zum Teil Erinnerungen eines kleinen Kindes sind und so vielleicht nicht vollends die Tatsachen abbilden, geschweige denn, den grösseren Zusammenhang.
Die Namen in der Geschichte, die ich nicht änderte, sind die Namen von Menschen, die wohl schon lange nicht mehr leben. 
Alle anderen bekamen andere Namen von mir.

30 Juni, 2020

Storytelling II



Ums Jahr 2000 hab ich mein Leben in Deutschland abgebrochen, mit allen Konsequenzen, hab den Job, die Freunde und die Ostsee eingetauscht gegen eine Zukunft in Ungewissheit und bin in die Schweiz gezogen. Ich begann eine neue Ausbildung und startete als Hilfsarbeiter in einem neuen Job.


Die Schweiz war ein unbekanntes Land, besetzt mit Vorurteilen über die Menschen und konfrontiert mit einer Sprache, die eher komisch als tragfähig klang, die ich aber lernen musste. 

Von der See in die Berge - war auch die Landschaft ein fast kindliches Erlebnis für mich. Als ich im Juni noch Schnee auf den Bergen sah, hab ich eine damalige Freundin gefragt: “oh …! Können wir da hinfahren?” Sie hat mich etwas befremdet angeschaut und sich diesem Flachländerwunsch gefügt.


Dann hab ich die Schweiz der Länge und der Breite nach erkundet, was für jemanden der Deutschland gewohnt ist, eher in kurzen Bahnreisen zu bewältigen war.

So landete ich irgendwann bei ein paar Freunden im Tessin, in einem kleinen Restaurant in den Bergen, irgendwo oberhalb des Lago Di Como. Man empfahl mir unbedingt das Risotto hier zu probieren. 


Risotto ??? “Was ist Risotto?” fragte ich in die Runde. Während die Schweizer mich eher betreten anstarrten, lachte eine italienische Freundin laut los, hob den Arm, rief den Kellner und sagte ihm was auf italienisch. Mein Italienisch ist  nun zwar rudimentär, aber ich verstand, dass sie ihm meine Frage übermittelte, worauf hin er mich dann anschaute, als habe er etwas Seltsames unter einem Stein entdeckt.

Kurz danach kam der Koch an den Tisch, sprach mit der italienischen Freundin die mir übersetze, er werde mir nun zeigen was Risotto ist. Ich musste ihm in die Küche folgen. 


Er redete kaum ein Wort mit mir, handelte wie jemand, der etwas sehr Ernstes und Wichtiges tut und gab mir ein paar Zwiebeln in die Hand. Er bedeutete mir “schneiden” ich tat mein Bestes, er nahm mir einmal vorsichtig, wie man es bei einem Suizidgefährdeten tun würde, das Messer aus der Hand und zeigte mir wie er die Zwiebeln geschnitten haben wollte.

Derweil erhitze er Olivenöl in einem hohen Topf, sorgte durch Blicke dafür, dass ich sah was er tat, mass Reis ab und leerte meine Zwiebeln in das heisse Öl. Dann kippte er den Reis dazu und rührte vorsichtig das fast trockene Gemisch, bis die Zwiebeln glasig waren  und auch der Reis begann transparenter zu werden.


Dann griff er unter die Arbeitsplatte, nahm eine schon angebrochene Flasche Weisswein hervor, schüttete davon in den Topf, dass es zischte, bis Zwiebeln und Reis ca. 2 cm überdeckt waren.

Neben dem Topf stand ein zweiter, kleinerer. Darin eine fast klare, dampfende Flüssigkeit mit ein paar Fettaugen auf der Oberfläche. Er reichte mir einen Löffel - ich musste probieren. Brühe! … oder Bouillon wie man in der Schweiz sagt.

Als der Reis den gesamten Weisswein aufgesaugt hatte, leerte er die Bouillon in den Topf, bis -wiederum- die Masse darin ca. 2 cm bedeckt war.

Dies wiederholte er in den nächsten 15 Minuten mehrmals, immer wenn die Bouillon aufgesogen war. Dann wurden die zugefügten Mengen immer kleiner. Es schien eine entscheidende Phase zu sein. Er wirkte sehr konzentriert, nahm sich einen Löffel, fischte ein paar Reiskörner aus dem Topf, kaute sie, schüttelte den Kopf, zeigte ich solle auch probieren. Der Reis hatte noch recht Biss - also: weicher musste er sein. Ich nickte, zeigte auf die Bouillon und nun sah ich ihn zum ersten mal lächeln. Er bedeutete zwischen Daumen und Zeigefinger “nur wenig”. Ein paar Minuten später probierten wir wieder. Er lächelte zum zweiten Mal.


Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes hatte schon die ganze Zeit eine kleine Schüssel gestanden, die mit einem Küchentuch bedeckt war. Er zog das Tuch zur Seite, es war geriebener Käse.

Den Käse gab er in den Topf, rührte ihn vorsichtig unter. Trat vom Herd zurück, machte eine präsentiere Geste Richtung Topf und sagte: “Risotto Bianco”


Ich musste wieder in den Gastraum gehen, wo meine Freunde mich gespannt erwarteten.

Kurz danach gab es Risotto für alle.

Ich war sofort verliebt!


Viele Jahre später hatte ich eine italienische Geliebte, zugegebenermassen ein recht von sich selber eingenommenes Weib. Ich wollte ihr einen Gefallen tun, vielleicht auch etwas angeben und kochte ihr Risotto wie ich es im Tessin gelernt hatte. Als ich ihr das ankündigte, erntete ich, wie vorauszusehen war ein mitleidiges Lächeln. Sie setzte sich vor den Fernseher, trank Rotwein und machte ein paar wenig schmeichelhafte Bemerkungen über Deutsche, die italienisch kochen wollen. 

Na, wie auch immer. Ich brachte ihr dann das Risotto zu ihrer nur noch halb vollen Flasche Rotwein. Sie beäugte es, begann zu essen und schaute woanders hin. 

Kein Wort mehr - aber eben - die Signora war ein wenig - speziell. So liess ich sie und schaute zu wie sie ass. Als sie fertig war, schaute sie fast wütende von ihrem Teller auf.

“Was ist los?” fragte ich sie. Sie schüttelte barsch den Kopf, knallte den Teller auf den Tisch, das der Löffel rausfiel.

“Dein Risotto ist besser als meins” sagte sie zutiefst beleidigt.


"YEEEEHAAA"




geschrieben und gepostet 30. Juni 2020, Luzern

Storytelling I



Irgendwann in den 80ern explodierte in der Ukraine ein Atomkraftwerk. 

Damals lebte ich in Karlsruhe und wir sassen alle vor dem Fernseher und schauten, wie sich die atomare Wolke langsam auf uns zu bewegte.
Meine Freundin und ich entschlossen uns davor zu flüchten. Da die Wolke von Ost nach West trieb und den Anschein machte, sie würde die Richtung beibehalten, schien Südfrankreich ein guter Fluchtpunkt zu sein.


Wir liehen uns ein Zelt, packten unseren Kram, organisierten eine Mitfahrgelegenheit und waren in zwei Tagen am Mittelmeer in Cassis.
Ich weiss nicht mehr wie lange wir blieben, aber es waren gute Tage.

Auf dem Rückweg trampten wir, kamen recht gut voran, ein Pärchen werden viel schneller mitgenommen und so waren in nur einem Tag bis kurz vor Lyon gekommen.


An irgendeiner Mautstation standen wir dann wieder da mit dem Daumen in der Luft.

Ein Kombi hielt an ein Mann öffnete die Fahrertür und brüllte: “Rapido!! … Vite, je suis pressé.” 

Wir hopsten ins Auto. Der Mann stellte sich als Paul vor. Auf der Ladefläche des Kombis standen Kisten mit Gemüse und solche voll Wein, die rumpelten und klirrten.
Mein Französisch ist kaum nennenswert, aber meine Freundin konnte sich verständigen.

Sie übersetze ein wenig und Paul konnte etwas Englisch, so dass die Kommunikation funktionierte.  Über die üblichen Fragen und dem allseitigen Gefluche über die “Atomkraft” und die “Russen” wurde es draussen langsam dunkel. 

Paul bot uns an, bei ihm daheim im Gästezimmer zu schlafen. Das nahmen wir noch so gern an, da unser Geld zuende ging und wir keine Ahnung hatten wo wir schlafen sollten.

Das Haus war mehr eine Villa, umstanden von grossen Kiefern und, soweit ich im Dunkeln erkennen konnte, einem grossen Garten. 

Am nächsten Morgen gab es ein kleines Frühstück in einer monumentalen Küche mit Aussicht auf den Nachts vermuteten Garten.
Paul hatte es wieder eilig. Wir fragten ihn, wohin er müsse.

Ins Restaurant - er war Koch und musste Vorbereiten ... SEIN Restaurant sagte er.


Wir plauderten bei Milchkaffee und Croissants ein wenig über das Kochen.

Dann sagte Paul etwas was ich nicht wieder vergessen habe: 

“Die grössten Feinde des Lebens und des Kochens sind Lieblosigkeit und Geiz”

Er bot uns an, uns noch zur Autobahn zu bringen, damit wir weiter trampen konnten.

Als wir das Haus verließen, las ich die eingeprägte Aufschrift auf dem kupfernenen Klingelschildchen

“Paul Bocuse”.


Vor einer Weile sah ich einen alten Film über ihn. Er stand am Kochtopf und sagte, für ein gutes Essen braucht es einen guten Wein. Dann hielt er eine Flasche Pinot Noir in die Kamera und betonte “... so einen wie diesen!” 

Er goss den Wein in den Topf und bei jedem “Glugs” den die Flasche machte, zählte Paul: 

“50 Franc, 100 Franc, 150 Franc …”

Als die Flasche leer war, war er bei 600 angekommen und lachte dazu. 


Ich hoffe er sitzt jetzt irgendwo auf einer Wolke … neben ein paar hübschen Engelchen … in einem weissen Liegestuhl und in der Hand ein Glas Pinot Noir. Danke Dir Paul!


Wenn mich also mal jemand fragt, wieviel denn von einer bestimmten Zutat an ein Essen kommt, dann sage ich immer: “einfach nicht geizig sein” … das mit der “Liebe” erwähne ich nicht, denn, wenn man nicht geizig ist, kommt die Liebe von allein.



geschrieben 27. Juni und gepostet 30. Juni 2020, Luzern