26 Januar, 2022

Overheating




Seit nun über 1,5 Jahre "saufe" ich nicht mehr.
Genauer gesagt, ich kaufe mir einfach keine Alkohol mehr, ausser es kommen liebe Freunde zu Besuch oder ich gehe zu ihnen.

Meine Schreibereien wurden seit dem deutlich seltener, als sei ich, möglicherweise, von einem inneren Druck befreit, der sich nach aussen entladen müsse.

Oder ... und während ich jetzt nochmals drüber nachdenke, erscheint es mir - analog der Ereignissen von denen ich hier noch zu erzählen habe, als sei das die wahrscheinlichere Variante - dass der innere Druck ständig weiter gestiegen ist, ich es nicht bemerke und das Ventil zum Dampf ablassen - eben durch das Schreiben - fehlt.



Aber der Reihe nach ...


Nun hat mich dann - der ich der Vorsichtigste der Vorsichtigen bin - Corona doch noch erreicht. 

Seit Beginn der Woche hocke ich in Isolation mit Husten und Kopfschmerzen und Fieber, verbringe lange Zeiten meiner Tage und Nächte im Tief- oder doch zumindest im Halbschlaf.


Während der Schlafphasen treibe ich von Alptraum zu Alptraum, erwache dann kurz, weiss nicht ob Morgen oder Abend ist, muss die Digitalanzeige der Uhr 3x lesen bis ich weiss, dass "16:42" bedeutet, dass es nun bald dunkel wird.

Ich schwitze ausserdem noch meine Bettwäsche und Pyjamas durch! 
Stopfe sie, in meinem Dämmerzustand in die Waschmaschine, schalte sie ein, lege Zettelchen obendrauf, mit der Aufschrift “Aufhängen!” und stehe - dann irgendwann später - lange Momente grübelnd davor, bis mir klar wird, dass mit dem Imperativ nicht ich selber gemeint bin, sondern die Wäsche in der Maschine.

Es gab auch noch andere Zettelchen, aber deren Inhalt möchte lieber nur ich kennen!

Eines davon jedoch inspirierte mich zu dieser Geschichte, denn auf dem stand “fragil” ...


gefunden auf der  Waschmaschine

… es war - obwohl ein wenig krakelig - eindeutig meine Handschrift. 
Lange mühte ich mich mit der Frage, was konnte mich wohl bewegt hatte, das zu schreiben. 

Zwei bis drei Tage habe ich mich nur von Tütensuppe, Tabletten und Thymiantee ernährt, weiss nicht wann ich gekocht und gegessen habe, sehe nur den Stapel benutzter Suppenschalen, die leeren Medikamentenblister und schmutzigeTassen.

Ich weiss, ich muss zwischendurch mal aufs Klo gegangen sein, denn sowohl Hose als auch Bett waren sauber. Aber erinnern kann ich mich nicht.


Das Fieber ist wohl auch der Grund der panische Angst, die mich die ganze Zeit begleitet, die Batterie in dem Thermometer könne zu ende gehen und ich könne so die allerletzte Kontrolle verlieren über meinen Zustand - vielleicht den Moment verpassen, indem ich einen Krankenwagen rufen sollte, weil es über 40°C anzeigt.
Ich träumte von einem guten alten mit Quecksilber gefüllten Thermometer, wie ich es als Kind benutzte, träumte von meiner Mutter und ihrem besorgten Blick und ihrer kühlen Hand auf meiner Stirn und wie sie mir das Ding, das tatsächlich nach Glas schmeckte, in den Mund schob und ich geduldig 5 Minuten warten musste.

Die Batterie ging allerdings, entgegen meiner fieberneurotischen Befürchtungen, nicht zu ende!

Heute ist der erste Tag - die Uhr zeigt "7:05" … und ich weiss sogar sofort was das bedeutet! … also der erste Tag, an dem meine Temperatur etwas gefallen ist.


Ich fand übrigens - ausser den diversen Zettelchen - noch eine gepackte Reisetasche - neben der Waschmaschine - als ich heute am Morgen - ganz bewusst - pinkeln ging.
Niemand ausser mir war in meiner Wohnung - also - rein logisch - hab ich sie gepackt - im Fieberwahn - in Vorsorge vermutlich - falls ich ins Krankenhaus muss.
Nichts - aber auch gar nichts davon -  weiss ich noch!


Ein Intermezzo:

Das erinnert mich an ein Vorkommnis in meinen einsamen Wochen auf den südjapanischen Inseln:

Im Laden des einzigen Dörfchens auf dem Inselchen, kaufte ich Gemüse, Algen, Pilze und Nudeln für eine gute Suppe, dazu eine Flaschen Reiswein, den ich zu schätzen gelernt hatte.
So sass ich am Nachmittag und trank mal ein erstes Gläschen, es werden tatsächlich wohl zwei gewesen sein.
Ich nickte wohl kurz ein, erwachte in meinem Bett, die Uhr zeigte etwa 6:00h und ich stand frohgemut, wenn auch mit etwas Kopfschmerz, auf und dachte, ich solle nun dann mal kochen.
In der Küche war alles ordentlich, doch auf dem Herd stand ein halber Topf mit fertig gekochter Suppe und die am Morgen gekauften Zutaten waren allesamt verschwunden.
Ich grübelte eine Weile, da das aber nix half, wollte ich Dem mit einem dritten Gläschen Reiswein ein wenig nachhelfen. Das ging aber nicht, denn die Flasche lag leer unter dem Tisch.

Das erste was mir in den Sinn kam, war, jemand musste, während ich eingenickt war, in mein Häuschen eingebrochen sein, hatte meinen Reiswein ausgesoffen und mir zum “Dank” die Suppe gekocht. 

Trotz Kopfschmerzen kam mir nach einer Weile diese Idee doch schnell zunehmend absurd vor.
Während ich also die leere Flasche, die ich inzwischen vor mir auf den Tisch gestellt hatte, anglotze und rumrätselte, wurde es draussen langsam heller.


Die Erkenntnis kam wie dieser Augenblick ... 

... nachdem man eine Dosis Schnupftabak hochgesnift hat und ... 

... kurz bevor man niest.

Es ist nicht Abends … ES IST MORGENS … !!!


So hatte ich die ganze Flasche selber ausgesoffen am Abend, im Suff noch gekocht, gegessen und war dann zu Bett gegangen und hatte die ganze Nacht geschlafen.
An reineweg garnix davon habe ich - bis heute - auch nur die leiseste Erinnerung!

Drei Dinge passierten dann noch:

1. Die Suppe war prima - genau wie ich sie mag
(ich koche also auch im Vollrausch noch ganz gut* … und putze nachher sogar die Küche)
2. Wie sich beim nächsten Einkauf im Inselladen rausstellte, war das, was ich gekauft hatte, kein Reiswein, sondern ein lokaler ReisSchnaps gewesen.
(Scheisse wenn man nicht lesen kann, was auf dem Etikett steht)

3. In meinem Blog war ein Artikel gepostet worden in dieser "vergessenen" Nacht. 

Ich las ihn aufgeregt durch, er war recht kurz, aber nicht all zu schlecht geschrieben, hatte sogar ein nachvollziehbares Fazit und ich wusste - so sicher wie eine Mutter, die ihr eigenes Kind unter Tausenden erkennen würde - dass er von mir war.

Nur ... ich erinnerte mich nicht im Geringsten - ihn geschrieben zu haben . 

(Na gut ... auch nicht alle Mütter erinnern sich an die Nacht, in der ihr Kind gezeugt wurde ... und trotzdem ist es da)

Ende des Intermezzos und weiter mit meiner Geschichte:


Na, ja ... so lüften sich eben Geheimnisse ... oder manchmal eben auch nie!


Auch das seltsame Zettelchen mit dem Text “fragil” wird nun, da das Fieber nachlässt, klarer:

Ich habe drei Lieblingswörter:


  1. “Cellar Door” Das ist nicht von mir, sondern aus einem Film “ausgeliehen”:

    Es steht für all das, was verborgen liegt, hinter einer Kellertüre, im Dunkel unter der Erde 

    ... oder … na ja - in mir.

  2. “fragil”
    Weil wir alle nur Menschen sind und das Leben so zerbrechlich ist. **

  3. “Arschloch” ***
    Steht für den Befreiungsschlag, die Revolution, den Neuanfang oder auch das Ende für das

    "Warten auf Goddot”


Letztlich ... und damit -fast- zum Schluss für heute ...
... hat das Fieber (unterhalb 38.5° !! ), das mir die ArschlochCoronaViren brachten, offenbar eine ähnliche Wirkung auf mich wie ein guter Suff ... jedenfalls was die Ventilfunktion des Schreiben betrifft!

Wie auch immer ... ICH SCHREIBE WIEDER !!

Ich jubele nicht grade “danke” dafür ... aber zumindest trällere ich ein freudiges:

“ FUCK YOU CORONA !!”


However !! 
Das war es schon fast ... 
ABER ... jetzt noch die
Fussnoten und eine Widmung ... die mir wichtig ist.

*

Ich hab in den Achzigern, auf einer Party, auf der die Hälfte der Gäste, ich sowieso, 

total blau war und die andere Hälfte völlig stoned und es nix Gutes mehr zu Essen gab, 

mal einen prima Wiener Apfelstrudel gemacht ... einschl. Vanillesauce!! ...

… hat man mir ein paar Tage später erzählt 🤣


**

Ziemlich genau vor 4 Jahren starb meine Mutter 🥲🥲🥲


***

„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ 🤬


Schimpfen gehört in jeder Gesellschaft und Kultur zum Alltag. Überall wird nach Kräften geflucht und gepoltert, wird Dampf abgelassen: Mistwetter, Scheißjob, verdammte Blechkiste. Und die anderen, über deren Verhalten wir uns ärgern, kriegen Vulgäres zurück: Idiot, Schwachkopf, blöde Kuh.


„Schlag ihn tot den Hund! Er ist ein Rezensent“, schrieb einst Goethe. 

Und Joschka Fischer ließ sich 1984 im Bundestag gegenüber Richard Stücklen zu dem Kraftausdruck hinreißen: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ 

Aus der Sendung “Freistil” des Deutschlandfunks






WIDMUNG

Diese Geschichte ist gewidmet dem Gedenken an meine Mutter, 

die nicht nur eine hervorragende Köchin und Krankenpflegerin war, 

sondern auch fluchen konnte, "... bis sich die Balken biegen" ... 

... wie sie es wohl ausgedrückt hätte.

RIP 

❤️





Geschrieben, umgeschrieben, neu komponiert und wieder überarbeitet in Quarantäne ...

... in Tagen mit rezidivierenden Fieberepisoden ... 

... und einigen anderen schmerzhaften und/oder unappetitlichen Randerscheinungen ...

... irgendwo verloren zwischen eingetrübter Vigilanz und völliger Umnachtung vom ca. 26.1. bis zum ca. 28.1. 2022.

Gepostet am 28.1. 2022