15 August, 2022

Homecoming



Erster Versuch

Was ist Heimat?

Is das nur ein an den Haaren herbeigezogener Begriff.

War Heimat mal etwas, etwas anderes, als wir es heute deuten - nach all diesen Heimatfilmchen mit Herzschmerz und DumpfDödelDummMusik - verballhornt - verballermannt - verloren?

Oder ist Heimat in den Zeiten des globalen Exzesses ein Anachronismus?

So anachronistisch wie die Ehe - die manchmal funktioniert - aber meistens eher nicht.


Die Ehe ist und bleibt die wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch unternehmen kann.

  • Sören Kierkegaard


Das kann man schon so sehen, Herr Kierkegaard - aber ich kann aus dem Stegreif mind. drei Entdeckungsreisen nennen, die mit Mann und Maus drauf gegangen sind.


Heimat und Ehe … bei beiden geht es wohl um den Glauben.

Was ich aber vom Glauben halte - das weiss die regelmässige Leserschaft genau. Zum Glück bin ich nicht allein damit … aus leider gegebenem Anlass ein Zitat:

  

In dem Moment, in dem Du sagst, dass irgendein Ideensystem heilig ist, sei es ein religiöses Glaubenssystem oder eine säkulare Ideologie, in dem Moment, in dem Du eine Reihe von Ideen für immun gegen Kritik, Satire, Spott oder Verachtung erklären, wird die Gedankenfreiheit unmöglich.


  • Salman Rushdie



Was ist Heimat also?

Ein Glauben - der nicht angegriffen werden darf?

Ein Gefühl - das man hat oder auch nicht?


Ich fange die Geschichte doch lieber anders an!


Zweiter Versuch

“Ich bin da daheim, wo die Menschen sind, die ich liebe”

Also mache ich mich nicht abhängig von der “Scholle”, der Landschaft, der Gegend, der Nation - sondern weil das ja viel einfacher ist - von den Menschen. (ja, Sarkasmus!)


Nach - ich weiss wirklich nicht mehr, nach wie vielen - Beziehungen, nach so vielen Liebesschwüren, kann ich Euch ganz entspannt versichern - 90% davon gehen den Bach runter.


Ganz hinten - in der letzten Bank - des imaginären Vorlesungssaales erhebt sich ein fiktiver, dürrer, pickliger Junge von vielleicht 18 oder 19 Jahren.

Er hebt zaghaft die Hand und beginnt zu sprechen, laut mit unsicherer Stimme:

“Du klingst sehr desillusioniert - was ist passiert, seit Du so alt warst wie ich jetzt” 

Ich rücke meine Brille zurecht, versuche ihn besser zu sehen, damit ich weiss mit wem ich rede.
Es fühlt sich für einen Moment lang an, als schlage mir jemand ins Gesicht, mit der flachen Hand, mit voller Kraft. Meine Ohren gellen, meine Augen versuchen aus den Höhlen zu quellen und mein Hirn klingt wie ein debiles Orchester - laut und schrill und kakophonisch.
Das bin ich selber - da in der letzten Reihe - ich erkenne mich, sogar das Hemd, das der Junge trägt, war mal meines.

Was soll ich mir selber antworten? 

Eine Lüge, einen ​​Euphemismus, Drumrumgerede, eigentlich alles ausser der Wahrheit, würde er sofort enttäuscht zur Kenntnis nehmen und sich schweigend abwenden.

Aber die Wahrheit kenne ich nicht!

So rufe ich ihm zu: 

“Ich weiss es nicht, mein Lieber …” und um zu verhindern, dass er mir entgleitet: “ich weiss es noch nicht … vielleicht irgendwann … später … // … Zeit … // … ich brauch noch Zeit!”


ZERBRÖSELN ist das Wort, welches mir einfällt.
Ich ahne warum wir Menschen nicht wie die Quallen*, in den Oceanen unendlich alt werden, ein ständiger Wechsel zwischen Larve und Meduse.

Ich ahne, dass das Mass an Begegnungen, Erlebnissen und Lieben, der Fundus an Glück und Unglück, der Wechsel der Zeiten, der Werte, der Generationen … ich fürchte, das hat ein Maximum, dann läuft es über, brennt an, verklumpt, wird braun und ungenießbar, bildet tödlichen Plaque der die Organe und das Hirn überzieht … das kann auch der gesündeste Schlaf nicht mehr kompensieren.


Also - Zerbröseln:

Um mich herum beginnen die Dinge zu zerbröseln.

Ich selbst wohl sowieso .


Eine Freundin sagte: “Das war`s … es ist vorbei!"

Ich kann sie nicht trösten …
“Ja, meine Liebe … so Manches geht vorbei - auch die guten Tage”
… denn auch sie würde, alles was nicht die Wahrheit ist, sofort herausfiltern und mir das Filtrat vor die Füsse knallen.


Dritter Versuch

Nach vielen Jahren sah ich heute mein Elternhaus wieder.

Dort leben nun Menschen, die ich nicht kenne.

Zwei Jahrzehnte hab ich dort verbracht mit meiner Familie, meine Kindheit, meine Schulzeit, meine Jugend, meine Pubertät, den Anfang meines Erwachsen- und Berufslebens.

Der Garten, den meine Eltern hüteten und liebten, ist nun ein Parkplatz, der Rasen, den mein Vater wöchentlich am Samstag mähte und ein paar mal im Jahr harkte und lüftete ist unter Pflastersteinen der übelsten Sorte begraben.

Ich stieg nicht mal aus dem Auto.

Schaute und empfand ein “Schade” und “was für eine Verschwendung”


Das war mal meine Heimat, hier verbrachte ich die ersten Jahre mit der ersten Liebe. Nichts ist davon geblieben - ein paar Mauern, ein Dach - der Rest ist Erinnerung.


Letztlich ist mein Leben wie eine Wanderung, ich kann mich nicht an jede Biegung und Abzweigung erinnern, aber darum geht es auch gar nicht.

Das Ziel der Wanderung ist klar, wenn auch nicht herbeigesehnt.

Ich werde irgendwann sterben.

Dann muss ich loslassen - das Schwerste was es los zu lassen gibt:
Mich selbst.


Jetzt weiss ich, was ich dem dürren pickligen Jungen antworten kann.

“Ich habe angefangen los zu lassen!!” 

… brülle ich durch den ausgedachten Hörsaal.


Aber er ist wohl schon gegangen.


Ganz zum Schluss

Auch weil ich -Euch- nicht ohne Trost gehen lassen möchte - ein anderes Zitat:


"Alles Seiende ist ein Anfang"

Hinduistische Grundannahme




geschrieben und gepostet irgendwo in den Tiefen des Sauerlandes am 15.8. 2022