30 Juni, 2020

Storytelling II



Ums Jahr 2000 hab ich mein Leben in Deutschland abgebrochen, mit allen Konsequenzen, hab den Job, die Freunde und die Ostsee eingetauscht gegen eine Zukunft in Ungewissheit und bin in die Schweiz gezogen. Ich begann eine neue Ausbildung und startete als Hilfsarbeiter in einem neuen Job.


Die Schweiz war ein unbekanntes Land, besetzt mit Vorurteilen über die Menschen und konfrontiert mit einer Sprache, die eher komisch als tragfähig klang, die ich aber lernen musste. 

Von der See in die Berge - war auch die Landschaft ein fast kindliches Erlebnis für mich. Als ich im Juni noch Schnee auf den Bergen sah, hab ich eine damalige Freundin gefragt: “oh …! Können wir da hinfahren?” Sie hat mich etwas befremdet angeschaut und sich diesem Flachländerwunsch gefügt.


Dann hab ich die Schweiz der Länge und der Breite nach erkundet, was für jemanden der Deutschland gewohnt ist, eher in kurzen Bahnreisen zu bewältigen war.

So landete ich irgendwann bei ein paar Freunden im Tessin, in einem kleinen Restaurant in den Bergen, irgendwo oberhalb des Lago Di Como. Man empfahl mir unbedingt das Risotto hier zu probieren. 


Risotto ??? “Was ist Risotto?” fragte ich in die Runde. Während die Schweizer mich eher betreten anstarrten, lachte eine italienische Freundin laut los, hob den Arm, rief den Kellner und sagte ihm was auf italienisch. Mein Italienisch ist  nun zwar rudimentär, aber ich verstand, dass sie ihm meine Frage übermittelte, worauf hin er mich dann anschaute, als habe er etwas Seltsames unter einem Stein entdeckt.

Kurz danach kam der Koch an den Tisch, sprach mit der italienischen Freundin die mir übersetze, er werde mir nun zeigen was Risotto ist. Ich musste ihm in die Küche folgen. 


Er redete kaum ein Wort mit mir, handelte wie jemand, der etwas sehr Ernstes und Wichtiges tut und gab mir ein paar Zwiebeln in die Hand. Er bedeutete mir “schneiden” ich tat mein Bestes, er nahm mir einmal vorsichtig, wie man es bei einem Suizidgefährdeten tun würde, das Messer aus der Hand und zeigte mir wie er die Zwiebeln geschnitten haben wollte.

Derweil erhitze er Olivenöl in einem hohen Topf, sorgte durch Blicke dafür, dass ich sah was er tat, mass Reis ab und leerte meine Zwiebeln in das heisse Öl. Dann kippte er den Reis dazu und rührte vorsichtig das fast trockene Gemisch, bis die Zwiebeln glasig waren  und auch der Reis begann transparenter zu werden.


Dann griff er unter die Arbeitsplatte, nahm eine schon angebrochene Flasche Weisswein hervor, schüttete davon in den Topf, dass es zischte, bis Zwiebeln und Reis ca. 2 cm überdeckt waren.

Neben dem Topf stand ein zweiter, kleinerer. Darin eine fast klare, dampfende Flüssigkeit mit ein paar Fettaugen auf der Oberfläche. Er reichte mir einen Löffel - ich musste probieren. Brühe! … oder Bouillon wie man in der Schweiz sagt.

Als der Reis den gesamten Weisswein aufgesaugt hatte, leerte er die Bouillon in den Topf, bis -wiederum- die Masse darin ca. 2 cm bedeckt war.

Dies wiederholte er in den nächsten 15 Minuten mehrmals, immer wenn die Bouillon aufgesogen war. Dann wurden die zugefügten Mengen immer kleiner. Es schien eine entscheidende Phase zu sein. Er wirkte sehr konzentriert, nahm sich einen Löffel, fischte ein paar Reiskörner aus dem Topf, kaute sie, schüttelte den Kopf, zeigte ich solle auch probieren. Der Reis hatte noch recht Biss - also: weicher musste er sein. Ich nickte, zeigte auf die Bouillon und nun sah ich ihn zum ersten mal lächeln. Er bedeutete zwischen Daumen und Zeigefinger “nur wenig”. Ein paar Minuten später probierten wir wieder. Er lächelte zum zweiten Mal.


Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes hatte schon die ganze Zeit eine kleine Schüssel gestanden, die mit einem Küchentuch bedeckt war. Er zog das Tuch zur Seite, es war geriebener Käse.

Den Käse gab er in den Topf, rührte ihn vorsichtig unter. Trat vom Herd zurück, machte eine präsentiere Geste Richtung Topf und sagte: “Risotto Bianco”


Ich musste wieder in den Gastraum gehen, wo meine Freunde mich gespannt erwarteten.

Kurz danach gab es Risotto für alle.

Ich war sofort verliebt!


Viele Jahre später hatte ich eine italienische Geliebte, zugegebenermassen ein recht von sich selber eingenommenes Weib. Ich wollte ihr einen Gefallen tun, vielleicht auch etwas angeben und kochte ihr Risotto wie ich es im Tessin gelernt hatte. Als ich ihr das ankündigte, erntete ich, wie vorauszusehen war ein mitleidiges Lächeln. Sie setzte sich vor den Fernseher, trank Rotwein und machte ein paar wenig schmeichelhafte Bemerkungen über Deutsche, die italienisch kochen wollen. 

Na, wie auch immer. Ich brachte ihr dann das Risotto zu ihrer nur noch halb vollen Flasche Rotwein. Sie beäugte es, begann zu essen und schaute woanders hin. 

Kein Wort mehr - aber eben - die Signora war ein wenig - speziell. So liess ich sie und schaute zu wie sie ass. Als sie fertig war, schaute sie fast wütende von ihrem Teller auf.

“Was ist los?” fragte ich sie. Sie schüttelte barsch den Kopf, knallte den Teller auf den Tisch, das der Löffel rausfiel.

“Dein Risotto ist besser als meins” sagte sie zutiefst beleidigt.


"YEEEEHAAA"




geschrieben und gepostet 30. Juni 2020, Luzern

Storytelling I



Irgendwann in den 80ern explodierte in der Ukraine ein Atomkraftwerk. 

Damals lebte ich in Karlsruhe und wir sassen alle vor dem Fernseher und schauten, wie sich die atomare Wolke langsam auf uns zu bewegte.
Meine Freundin und ich entschlossen uns davor zu flüchten. Da die Wolke von Ost nach West trieb und den Anschein machte, sie würde die Richtung beibehalten, schien Südfrankreich ein guter Fluchtpunkt zu sein.


Wir liehen uns ein Zelt, packten unseren Kram, organisierten eine Mitfahrgelegenheit und waren in zwei Tagen am Mittelmeer in Cassis.
Ich weiss nicht mehr wie lange wir blieben, aber es waren gute Tage.

Auf dem Rückweg trampten wir, kamen recht gut voran, ein Pärchen werden viel schneller mitgenommen und so waren in nur einem Tag bis kurz vor Lyon gekommen.


An irgendeiner Mautstation standen wir dann wieder da mit dem Daumen in der Luft.

Ein Kombi hielt an ein Mann öffnete die Fahrertür und brüllte: “Rapido!! … Vite, je suis pressé.” 

Wir hopsten ins Auto. Der Mann stellte sich als Paul vor. Auf der Ladefläche des Kombis standen Kisten mit Gemüse und solche voll Wein, die rumpelten und klirrten.
Mein Französisch ist kaum nennenswert, aber meine Freundin konnte sich verständigen.

Sie übersetze ein wenig und Paul konnte etwas Englisch, so dass die Kommunikation funktionierte.  Über die üblichen Fragen und dem allseitigen Gefluche über die “Atomkraft” und die “Russen” wurde es draussen langsam dunkel. 

Paul bot uns an, bei ihm daheim im Gästezimmer zu schlafen. Das nahmen wir noch so gern an, da unser Geld zuende ging und wir keine Ahnung hatten wo wir schlafen sollten.

Das Haus war mehr eine Villa, umstanden von grossen Kiefern und, soweit ich im Dunkeln erkennen konnte, einem grossen Garten. 

Am nächsten Morgen gab es ein kleines Frühstück in einer monumentalen Küche mit Aussicht auf den Nachts vermuteten Garten.
Paul hatte es wieder eilig. Wir fragten ihn, wohin er müsse.

Ins Restaurant - er war Koch und musste Vorbereiten ... SEIN Restaurant sagte er.


Wir plauderten bei Milchkaffee und Croissants ein wenig über das Kochen.

Dann sagte Paul etwas was ich nicht wieder vergessen habe: 

“Die grössten Feinde des Lebens und des Kochens sind Lieblosigkeit und Geiz”

Er bot uns an, uns noch zur Autobahn zu bringen, damit wir weiter trampen konnten.

Als wir das Haus verließen, las ich die eingeprägte Aufschrift auf dem kupfernenen Klingelschildchen

“Paul Bocuse”.


Vor einer Weile sah ich einen alten Film über ihn. Er stand am Kochtopf und sagte, für ein gutes Essen braucht es einen guten Wein. Dann hielt er eine Flasche Pinot Noir in die Kamera und betonte “... so einen wie diesen!” 

Er goss den Wein in den Topf und bei jedem “Glugs” den die Flasche machte, zählte Paul: 

“50 Franc, 100 Franc, 150 Franc …”

Als die Flasche leer war, war er bei 600 angekommen und lachte dazu. 


Ich hoffe er sitzt jetzt irgendwo auf einer Wolke … neben ein paar hübschen Engelchen … in einem weissen Liegestuhl und in der Hand ein Glas Pinot Noir. Danke Dir Paul!


Wenn mich also mal jemand fragt, wieviel denn von einer bestimmten Zutat an ein Essen kommt, dann sage ich immer: “einfach nicht geizig sein” … das mit der “Liebe” erwähne ich nicht, denn, wenn man nicht geizig ist, kommt die Liebe von allein.



geschrieben 27. Juni und gepostet 30. Juni 2020, Luzern


20 Juni, 2020

Feeding

Mit Schreiben hab ich's grad nicht so.


Meine Tage verlaufen zur Zeit in einer weichen, weinroten Kurve, deren Amplituden, ohne allzu aussergewöhnliche Spitzen- oder Talwerte, verdächtig selbstgefällig um eine friedliche, türkisfarbene Mittellinie schwingen.

Ich fahre mit dem Auto
Ich arbeite
Ich fahre wieder zurück nach Hause
Ich koche
Ich esse
Ich schlafe
Ich träume
Ich erwache beim Morgengrauen
Ich trinke Kafi
Ich fahre mit dem Auto
Ich arbeite
Ich gehe einkaufen
Ich koche
- als habe die Zeit keine Bedeutung
- als hätten meine Tage kein Ende
- als gäbe es keine andere Welt als diese
... stehe ich wieder am Herd

Irgendwann hab ich mal gelernt,
dass das Gegenteil von "Liebe" nicht "Hass" ist, sondern "Angst".

So ist das, wenn ich koche, wenn ich schnipple, wasche, reibe, einfülle, kontrolliere, fluche, laut werde, umrühre, abschmecke, verliebt die reifen Tomaten anschaue, Pfeffer in der Kafimühle mahle, Radio höre, die Schere suche, ausprobiere, abmesse, über den Damen und nach Gefühl reinkippe, "verdammt! ... zuviel!" drauf los schimpfe, was an die Wand knalle oder in den Mülleimer, wenn ich aus dem Küchenfenster schaue und überlege was als nächstes kommt, um dann wild drauf los zu machen, den richtigen Moment erwischen - bevor es anbrennt oder matschig wird. 
Einen Plan B umsetze, den es vor 5 Sekunden noch nicht gab.
Wenn ich dann fertig bin - und es ist alles geworden wie ich wollte und doch ganz anders,
dann WEISS ich, Liebe und Hass ergeben Leidenschaft.




Mein zur Zeit liebstes Essen ist Linsen-Dal. 
Jedoch:
Völlig genervt, dass jede Woche das etwa gleiche Linsen-Dal entstand, verbrach ich, ohne jedes Nachdenken eine neue Zutat, die alles veränderte, fruchtiger machte, es mehr zu MEINEM Dal machte und die ja ... das ist genau so - aus einer Wut über mich selber entstand.
Kochwütig ... das gibts!

Hier das Rezept für die neue "Zutat":






2020
Geschrieben am 19. Juni, nicht mehr völlig nüchtern und recht spät in der Nacht, sitzend auf kalten dem Küchenfussboden, mit einem Geschirrtuch unterm Hintern.
Überarbeitet und geposted am 20. Juni am hellerlichten* Tag und bei einigermassen klarem Verstand

* eine Eindampfung des Begriffes: "heller, lichter Tag" nicht von mir, nicht von meiner Grossmutter, jedoch von ihr benutzt für ungehörige Sachverhalte, die öffentlich, im Sinne von schamlos, dargestellt wurden.  In meinem Wortschatz, daher seit Anbeginn meiner Sprachentwicklung.