31 März, 2019

Developing

Alte Leute sind doch manchmal komisch, oder!?




Wenn der Wind eines Frühlingsmorgens den süsslich-harzigen Duft des nahenden Endes des Arbeitslebens mit sich trägt, diese Mischung aus blühenden Wiesenkräutern und dem langsam erkaltenden Schmierfett in der heissgelaufenen Nabe der täglichen Tretmühle, dann geraten Herz und Hirn in Aufruhr.

Befürchtungen und Beziehungen, Karriere und Kränkungen, gehegte Hoffnungen und gepflegte Zweifel, alles was eben noch hypnotisierte, hat seine Macht verloren. So oder so ähnlich, vermutlich umfassender und elementarer müssen sich wohl Sklaven gefühlt haben, die aus ihren Ketten entlassen wurden.

Als Kind hatte die Zeit eine andere Geschwindigkeit. Unendlichkeiten lagen zwischen Jetzt und Weihnachten, ebensolang jeder Tag, angefüllt mit den Zuckerbröckchen die meine Jugendfreundin Ingrid geschickt von den Kaugummikugeln pulte, während wir unter der alten Trauerweide standen, deren dürre Ästchen der Sommerwind in ein wohlig schauderndes Klappern versetzte, dass sich wie ein entfernter Applaus anhörte, den Pfützen vor denen ich kniete um diese fremde Unterwasserwelt zu beobachten und den Löchern die wir in die Erde buddelten, mit der Absicht, mindestens bis zum Erdmittelpunkt oder vielleicht sogar bis Neuseeland zu kommen, denn Zeit existierte für uns nicht, wurde nur an den Kristallisationspunkten sichtbar, wenn wir zum Essen kommen mussten oder um zu Bett zu gehen.
... und Ingrid machte mit dem Inneren der Kaugummikugeln phantastische, grosse Blasen.



Mit dem Beginn des Kindergartens war die zeitlose Zeit vorbei, von da an sorgte das repressive System naht- und lückenlos dafür, dass die Zeit in jede unserer Gehirnwindungen einsickerte, sedimentierte, sich unter sozialem Druck verfestigt und so eine Art Zeitstein bildete, der sich an den Wänden jeder Körperzelle absetzte. Es würde mich nicht im mindesten wundern, wenn diese Ablagerungen der eigentliche Grund für unsere Zivilisationskrankheiten wären.

Nun, im letzten Jahr, hatte ich mir diese Auszeit genommen, damit ich einen anderen Weg mit mir selber finde, bevor mir die Pensionierung passiert. Ich wollte ja, dass sich was ändert, ich hab's heraufbeschworen, ich hab's drauf angelegt, die Geister gerufen. 
Und ... verdammt ... sie kamen die Geister!! 
Wie`s dann aber halt immer ist, wurde ich sie nicht so einfach wieder los.

Lange Monate wusste ich nicht ob ich sie verwünschen oder verwöhnen sollte, sie fürchten oder mich freuen, mir liefen, vor allem nachts, die Tränen über mein Lächeln und wenn ich in den Spiegel schaute, sah ich glückliche, nasse Augen und einen zum Schrei geöffneten Mund.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe meinen Job. Aber es ist auch oft einfach ein  Job, schon irgendwie mein(!!)  Beruf, immer wieder auch eine Berufung. Es ist aber kein Leben in Freiheit, weder in innerer noch in äusserer.
"Was würdest Du denn tun, wenn Du 24/7 Zeit für Dich hättest?" fragte mich Herr K. am Telefon, als wir so vor uns hin philosophierten. "Das isses ja, ich weiss nicht! Die Reise war fantastisch und furchtbar zugleich. Aussergewöhnlich einerseits und nicht auszuhalten zum Anderen ... " "... aber vielleicht ist es auch zu spät für mich, den Dreh mit der Verpflichtungslosigkeit noch zu finden!?"

"Vielleicht auch nicht!?" mischt sich meine weise Sofalehne unvermittelt ein. "Denn eigentlich musst Du nur zurückfinden unter jene Trauerweide, den Unterwasserwelten der Pfützen und zu den Löchern in der Erde, die bis Neuseeland reichen."
Ja, weise ist sie schon meine Sofalehne.
Was ihr manchmal fehlt ist das KnowHow.


Das passiert halt, wenn man mit seiner Identität spielt ... es bleibt nur ein Häufchen Fragen zurück. 
Die Uralte vor allem: "Wer bin ich?"
Angesichts des Verlustes der Hüter der Kindheit, eine sowohl nachvollziehbar als auch unlogische Frage. Sollte doch einerseits mit der Verwaisung die eigene Selbstständigkeit und 
das Erwachsenwerden gefördert werden .... andererseits geht aber, mit dem Verlieren der Kindheit, auch die unstillbare Sehnsucht nach ihr einher.

Was bin ich also? Kind, Schüler, Lehrer, Architekt, Schreiberling, Koch, Sozialpädagoge ... ?

Ganz leise höre ich eine Stimme hinter mir.
Ich kann nicht verstehen was sie sagt.
Ich drehe mich rum, nehme das Kissen von der Sofalehne:
"... und vielleicht ein wenig von all Dem?!" krieg ich grad noch das Ende vom Satz mit.
Ja ... vielleicht !

Wir sind wohl doch schon recht erwachsen geworden, wir beiden, die weise Sofalehne und ich ... so pule ich mir die Zuckerbröckchen selber von den Kaugummikugeln  ... und mache dann eine grosse Kaugummiblase ... die am schönsten und grössten ist, kurz bevor sie platzt und mir den ganze Klebkram mitten ins Gesicht klatscht ... 

... irgendwie wie im richtigen Leben.




geschrieben in Emmen, Ebikon und Luzern in div. Cafés und Kneipen an verschiedensten Tagen im März 2019
veröffentlicht 31. März 2019 in Luzern



08 März, 2019

Looping


Beim Looping hat der Pilot keine direkten Anhaltspunkte, er braucht daher viel Erfahrung um die Figur korrekt zu fliegen. Der Looping ist eine der einfachsten, zugleich aber auch eine der schwierigsten Kunstflugfiguren.


"Was passiert bei einer Schreibblockade?" 
"Nichts" knurrte ich mit rollenden Augen. 

"Dás ist nicht ganz richtig." mischte sich dazumal meine weise Sofalehne ins Selbstgespräch ein.
"Dás stimmt!" antworte ich ihr  … tatsächlich passiert in diesen innig verwünschten Zeiten viel zu viel, aber nix Gutes … … oder wollen wir gerecht sein! … einfach nicht das Richtige. 

So generierten der Tot eines geliebten Menschen und die vier Monate Auszeit und Reise, im letzten Jahr, ein schwarzes Loch in mir. 
Zurückgekehrt implodiere meine gewohnte Welt ... unspektakulär und in Zeitlupe. 
Es gab dementsprechend keinen Knall, kein plötzliches Geräusch, sondern ein tiefes drohendes Dröhnen das sich durch meine Tage und Nächte schob, wie der Eisberg im nächtlichen Ocean während er langsam die Stahlplatten der Titanic aufschlitzt.
Wie ein Eisberg war auch ich im Alltag, die Nase so grad eben über Wasser, währenddessen 6/7 von mir in die unergründliche Tiefe hinab hingen. 
Keine Ideen, keine Ladung, kein Gestern und kein Morgen. Einfach irgendwie funktionieren, ständig navigierend über`m Namen- und Bodenlosen. 

Nun war ich zum Glück professionell genug um zu bemerken: 
"... da komm ich allein nicht wieder raus." 
Sogar meine weise Sofalehne war keine echte Hilfe mehr. Auch sie schien in einer Krise zu stecken. 

Heute sagt man nicht mehr Therapie... das hört sich schnell mal nach Vollklatsche an. 

Es war ... und meine erfahrenen Leser wissen, wenn ich das so deutlich sage, dann stimmt's auch ... es war wirklich keine Therapie.
Nennen wir es Support oder Coaching ... wie es mein Coach nennen würde weiss ich nicht ... ich fürchte aber sie ... ja SIE ! ... grinst wenn sie dies liest ... "ja und ...?!" ... zitiere ich sie angesichts dessen hier.   *1
So erfuhr ich, das ich keineswegs verrückt geworden war, jedenfalls nicht verrückter als die Schweizer und Deutschen so im Mittel. 
Vielleicht ein wenig sensibel und alt geworden ... oder einfach zu viel erlebt ... wer weiss!

Schon seit Wochen ging es mit mir eigentlich deutlich bergauf, doch den letzten Bogen fand ich nicht. Die Verwirrung und die Trauer blieben zwar still, waren aber immer noch da, hockten in der Ecke wie zwei räudige, halb verhungerte Köter, die auf die Gelegenheit warten, zu zuschnappen.

Jedenfalls, ans Schreiben wagte ich mich nicht. 
Tatsächlich hatte ich bereits begonnen Lotto zu spielen, hatte mich über meine Möglichkeiten zur Frühverrentung informiert oder dran gedacht mein Geld auf einen Haufen zu kratzen und nach Indien ab zu hauen um meine letzten Jahre in Meditation und Einkehr und … so dachte ich ... nein, so hoffte ich ... in innerem Frieden zu verbringen. 
Dann, heute kam mir, ganz unerwartet meine scheinbar so missglückt Reise zur Hilfe. 
Ich dachte an meine wochenlanges Alleinsein auf den Südjapanischen Inseln. 
Das war Einkehr genug … echte Einsamkeit … Ich total ... Ich pur …
"Ist es das, was Du suchst?" meldete sich meine Sofalehne unvermittelt aus dem Off.

Nach einem halben Jahr voller Arbeit holte mich vorgestern mit einem hörbaren und fühlbaren Knacken meine Wirbelsäule aus dieser Phase. 
Da sitze ich also da, auf meinem Sofa angelehnt an meine weise Sofalehne, hab Rückenschmerzen ... und schreibe!



Dabei kommt mir Clint Eastwood 
in den Sinn, in seiner Rolle als Inspector Harry Callahan, genannt "Dirty Harry", der, nachdem er grad einen von den bösen Jungs abgeknallt hat, 
mit einem säuerlichen Grinsen sagt: 
"Ich bin zu alt für diese Scheisse" 
und dann trotzdem weiter macht ... 
und den Fall löst.




*1 Übrigens gibt es laut Duden die "Coachin" ... O.K. ... heut ist Frauentag und ich lass mal sprachlich Fünfe grade sein.


Geschrieben und gepostet am 8. März 2019 in Luzern