31 Oktober, 2020

WORKING


Der Sommer ist vorbei.

Ich habe mir angewöhnt, am Anfang der warmen Monate und in der Mitte des Sommers meine Ferien zu nehmen. Jetzt ist Herbst mit nur einem Ausgang: dem Winter.


Keine Ferien mehr in Sicht.

Das sind zwei so unvereinbare Welten - die  Zeit des FreiSeins und die unsĂ€glichen langen Monate des Eingepresstseins in die Arbeitsbedingungen.


Als ich vielleicht 6 oder 7 Jahre alt war, gehörte ein ZwillingspĂ€rchen zu meinen Freunden. Zwei MĂ€dchen mit denen ich zur Schule ging, beide mit der gleichen Bubikopffrisur und den selben Kleidchen und den identischen Schuhen sassen sie neben mir in der 1. Klasse bei Frau Orth in der  Grundschule.

Sie faszinierten mich … diese gedoppelten Menschlein … und  sĂŒss fand ich sie … doppelt sĂŒss.

So wurden wir drei Freunde und luden uns zu unseren Geburtstagen ein und spielten zusammen und ich sass zwischen ihnen im Matsch der Baustelle vor dem Haus, sie in Kleidchen und Lackschuhen und ich in Cordhose und Sandalen. Wir bekamen alle drei Ärger, nachher mit den Eltern. WĂ€hrend ich aber … mehr oder weniger … darauf schiss und weiter im Matsch sass und Ärger bekam … wurden die beiden MĂ€dels sittsam und ordentlich und weigerten sich mit mir die Baustelle zu besuchen.


Stattdessen luden sie mich ein, sie daheim zu besuchen. Ich konnte sie, im Gegensatz zu meinen Lehrern und MitschĂŒlern, ganz gut auseinanderhalten. 

Susanne war etwas zarter, aber auch zĂ€her, hĂ€rter und konfrontativer, was sich in iher Mimik ausdrĂŒckte. Beate hingegen war lieblich und nahbar und konfliktscheu, sie war die, die sich manchmal an mich drĂŒckte und scheu lĂ€chelte und dann schnell wegschaute. Ich mochte sie beide.


Was ich aber eigentlich erzĂ€hlen wollte, ist, dass, als die beiden nicht mehr neben mir im Matsch zu sitzen trauten, und ich zu ihnen heim in ihre Kinderzimmer musste …


…diese MĂ€dchenzimmer, jede hatte unglaublicherweise ein eigenes Zimmer, waren rosa und lindgrĂŒn … ein unbekanntes Universum in dem ich mir vorkam wie ein Pavian im Louvre … es machte mir Angst und gleichzeitig machte es mir grosse Augen …


Die Eltern von Susanne und Beate waren wohl ziemlich reich … denn  sie wohnten an der Strasse die zum Schloss fĂŒhrte … wo nur die „besseren Leute“, wie meine Oma sie nannte, wohnten. Das waren Leute mit grossen dunkelblauen Autos und SchĂ€ferhunden und ohne Untermieter.


… also wir sassen in diesem Kinderzimmer und ich war gespannt, was die beiden mir denn nun zu bieten hĂ€tten, was besser wĂ€re, als der Matsch an der Baustelle. Denn nach meiner Erfahrung -damals- gab es nichts besseres als mit zwei MĂ€dels dort zu sitzen, den Dreck zwischen den Fingern zu spĂŒren und den Straßenarbeitern beim Graben und baggern und Teer kochen zu zu gucken.


Susanne stand auf und ging zu einem Vorhang der vor einem Etwas hing - sie zog ihn beiseite und dahinter kam eine Art Puppenhaus zu Vorschein, ein kleiner Tresen, mit einer kleinen Registrierkasse drauf und einer Waage im Miniaturformat und hinter dieser mit einer Wand aus Regalen in denen winzige Holzklötzchen standen. Beeindruckend echt bedruckt mit den Repliken der bekanntesten Produkten der damaligen Zeit.


Es gab Persil und OMO und Tchibo und Coca Cola, es gab Brote und WĂŒrste aus Holz und Plastik ganz echt bemalt und Weinflaschen und KĂ€sestĂŒcke

Die Cola als PlastikflĂ€schchen in HolzkĂ€stchen in Zentimetergrösse und Sahnetorten mit seperaten StĂŒckchen in der Grösse eine  5,- DM-StĂŒckes


Susanne  verteilte die Rollen. Beate und ich waren Papa und Mama und hatten ein Baby dargestellt durch Beates Lieblingspuppe. Der Plot sah vor, das Susanne die Ladenbesitzerin war und wir bei ihr einkauften.

So drĂŒckte Beate sich an mich, nannte mich Liebling und hakte sich mit dem einen Arm bei mir ein, wĂ€hrend sie auf dem Anderen unser Kind hielt.

Es war nicht ganz klar, was wir kaufen sollten und meine Ehefrau sah mich etwas ratlos an.

"Fleischsalat" entschied ich kurzerhand… weil, den mochte ich gern.

"Ham 'wa nich" gab die Ladenbesitzerin etwas barsch zurĂŒck.

"Windeln" sagte Beate "FĂŒr unser Baby"

"Ham wa auch nich" sagte Susanne "Aber Waschpulver, zum Windeln waschen, das ham wa da" fuhr geschĂ€ftstĂŒchtig fort.

Wir nahmen also ein Mal Persil und einmal Tchibokaffe und Milch und Zucker.

Susanne tippte alles korrekt in ihre Registrierkasse ein. "14 Mark FĂŒnfzig, bitte" sagte sie.

Ich gab ihr zwei 10DM Scheine und sie gab uns raus.

Damit war das Spiel zu Ende. Es gab noch ein paar Variationen in denen aber Susanne immer die Ladenbesitzerin war, lediglich Beate und ich wechselten die Rollen.


Nachdem wir einige EinkĂ€ufe gemacht hatten, wobei die gekauften Waren gleich nachher wieder in die Regale gerĂ€umt wurden, gab es noch "Kaffee&Kuchen" im CafĂ© nebenan des Kaufmannsladen, aus der PuppenkĂŒche.

Die winzigen TÀsschen waren ebenso leer wie die Waschmittelkartons im Laden gewesen wÀren und der Kuchen war die Torte aus dem Laden.


Die MĂ€dels waren wirklich voll ausgerĂŒstet! 

Bei mir jedoch blieb eine Mischung aus Langeweile und beinahe tastbarer Sinnlosigkeit zurĂŒck.

Das machte nicht wirklich so viel Spass wie die Nachmittage auf der Baustelle, wo alles echt war 

, statt dieses blöden fĂŒnften Mals den selben Kafi zu kaufen mit den selben Geldscheinen zu bezahlen. Das einzig schöne war, dass Beate die ganze Zeit an mir hing und mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit kĂŒsste. Aber in dem Alter hatte das offenbar nicht den selben Stellenwert fĂŒr mich, den es ein paar Jahre spĂ€ter haben wĂŒrde.


Nachdem ich die Zwillinge, eine Weile spĂ€ter, doch noch, ein letztes Mal, rumkriegte, mit mir wieder auf die Baustelle zu gehen und im Matsch zu hocken und den fluchenden Arbeitern zuzugucken, gab es wohl Ärger zwischen meinen Eltern und denen von Susanne und Beate.

Ich durfte jedenfalls nicht mehr  mit den beiden spielen, auch nicht bei ihnen zuhause in den rosa und lindgrĂŒnen MĂ€dchenzimmern.


Sie fehlten mir zwar, vor allem Beates NĂ€he, aber damals war es leicht neue Freunde zu finden und so vergass ich sie nach und nach … fast.


Was aber blieb, war dieses GefĂŒhl von Langeweile, das mich bei allem GeschĂ€ftlichen ĂŒberkommt.

Mir ist jede Form von Handel und BĂŒroarbeit ein unendlicher Graus und diese ganze kapitalistische Welt erinnert mich immer wieder an diesen Kinderkaufladen von Beate und Susanne.


Dann hab ich, vor ein paar Jahren, bei Herrn Waldner, in einer kleinen Garage, irgendwo im Luzerner Hinterland, ein Auto gekauft.

Sicher! … er wollte mir was verkaufen und war auch deswegen freundlich und kommunikativ.

Aber da war mehr … als ich ihm erzĂ€hlte, dass meine Mutter ins Altersheim muss, sagte er einfach: “Tut mir leid” … von da an war er keine VerkĂ€ufer mehr, sondern ein Bekannter.

Nachdem der Vertrag schon unterschrieben war, hatte der Wagen einen kleinen Mangel, der noch unter die von Herrn Waldner gegebene Garantie fiel. Er brachte das in Ordnung, ohne Diskussion ohne Zögern und fragte dann: “... und wie gehts Ihrer Mutter im Altersheim?”


Lange danach haben wir noch mal telefoniert, weil ich ein neues Auto brauchte. ER wusste sofort wer ich war, erkundigte sich nach meiner Mutter und nach dem Auto, das er mir verkauft hatte und erzĂ€hlte, dass er nun den Betrieb seinem Sohn ĂŒbergibt und in Rente geht.


Kapitalismus geht auch anders.


Aber eigentlich wollte ich ja ĂŒber das  Eingepresstseins in Arbeitsbedingungen erzĂ€hlen.

… - 

aber wenn ich`s mir grad recht ĂŒberlege, dann hab ich das wohl getan ...


However!

hier kommt noch mein derzeitiges Lieblingsrezept: