Der Sommer ist vorbei.
Ich habe mir angewöhnt, am Anfang der warmen Monate und in der Mitte des Sommers meine Ferien zu nehmen. Jetzt ist Herbst mit nur einem Ausgang: dem Winter.
Keine Ferien mehr in Sicht.
Das sind zwei so unvereinbare Welten - die Zeit des FreiSeins und die unsäglichen langen Monate des Eingepresstseins in die Arbeitsbedingungen.
Als ich vielleicht 6 oder 7 Jahre alt war, gehörte ein Zwillingspärchen zu meinen Freunden. Zwei Mädchen mit denen ich zur Schule ging, beide mit der gleichen Bubikopffrisur und den selben Kleidchen und den identischen Schuhen sassen sie neben mir in der 1. Klasse bei Frau Orth in der Grundschule.
Sie faszinierten mich … diese gedoppelten Menschlein … und süss fand ich sie … doppelt süss.
So wurden wir drei Freunde und luden uns zu unseren Geburtstagen ein und spielten zusammen und ich sass zwischen ihnen im Matsch der Baustelle vor dem Haus, sie in Kleidchen und Lackschuhen und ich in Cordhose und Sandalen. Wir bekamen alle drei Ärger, nachher mit den Eltern. Während ich aber … mehr oder weniger … darauf schiss und weiter im Matsch sass und Ärger bekam … wurden die beiden Mädels sittsam und ordentlich und weigerten sich mit mir die Baustelle zu besuchen.
Stattdessen luden sie mich ein, sie daheim zu besuchen. Ich konnte sie, im Gegensatz zu meinen Lehrern und MitschĂĽlern, ganz gut auseinanderhalten.
Susanne war etwas zarter, aber auch zäher, härter und konfrontativer, was sich in iher Mimik ausdrückte. Beate hingegen war lieblich und nahbar und konfliktscheu, sie war die, die sich manchmal an mich drückte und scheu lächelte und dann schnell wegschaute. Ich mochte sie beide.
Was ich aber eigentlich erzählen wollte, ist, dass, als die beiden nicht mehr neben mir im Matsch zu sitzen trauten, und ich zu ihnen heim in ihre Kinderzimmer musste …
…diese Mädchenzimmer, jede hatte unglaublicherweise ein eigenes Zimmer, waren rosa und lindgrün … ein unbekanntes Universum in dem ich mir vorkam wie ein Pavian im Louvre … es machte mir Angst und gleichzeitig machte es mir grosse Augen …
Die Eltern von Susanne und Beate waren wohl ziemlich reich … denn sie wohnten an der Strasse die zum Schloss führte … wo nur die „besseren Leute“, wie meine Oma sie nannte, wohnten. Das waren Leute mit grossen dunkelblauen Autos und Schäferhunden und ohne Untermieter.
… also wir sassen in diesem Kinderzimmer und ich war gespannt, was die beiden mir denn nun zu bieten hätten, was besser wäre, als der Matsch an der Baustelle. Denn nach meiner Erfahrung -damals- gab es nichts besseres als mit zwei Mädels dort zu sitzen, den Dreck zwischen den Fingern zu spüren und den Straßenarbeitern beim Graben und baggern und Teer kochen zu zu gucken.
Susanne stand auf und ging zu einem Vorhang der vor einem Etwas hing - sie zog ihn beiseite und dahinter kam eine Art Puppenhaus zu Vorschein, ein kleiner Tresen, mit einer kleinen Registrierkasse drauf und einer Waage im Miniaturformat und hinter dieser mit einer Wand aus Regalen in denen winzige Holzklötzchen standen. Beeindruckend echt bedruckt mit den Repliken der bekanntesten Produkten der damaligen Zeit.
Es gab Persil und OMO und Tchibo und Coca Cola, es gab Brote und Würste aus Holz und Plastik ganz echt bemalt und Weinflaschen und Käsestücke
Die Cola als Plastikfläschchen in Holzkästchen in Zentimetergrösse und Sahnetorten mit seperaten Stückchen in der Grösse eine 5,- DM-Stückes
Susanne verteilte die Rollen. Beate und ich waren Papa und Mama und hatten ein Baby dargestellt durch Beates Lieblingspuppe. Der Plot sah vor, das Susanne die Ladenbesitzerin war und wir bei ihr einkauften.
So drückte Beate sich an mich, nannte mich Liebling und hakte sich mit dem einen Arm bei mir ein, während sie auf dem Anderen unser Kind hielt.
Es war nicht ganz klar, was wir kaufen sollten und meine Ehefrau sah mich etwas ratlos an.
"Fleischsalat" entschied ich kurzerhand… weil, den mochte ich gern.
"Ham 'wa nich" gab die Ladenbesitzerin etwas barsch zurĂĽck.
"Windeln" sagte Beate "FĂĽr unser Baby"
"Ham wa auch nich" sagte Susanne "Aber Waschpulver, zum Windeln waschen, das ham wa da" fuhr geschäftstüchtig fort.
Wir nahmen also ein Mal Persil und einmal Tchibokaffe und Milch und Zucker.
Susanne tippte alles korrekt in ihre Registrierkasse ein. "14 Mark FĂĽnfzig, bitte" sagte sie.
Ich gab ihr zwei 10DM Scheine und sie gab uns raus.
Damit war das Spiel zu Ende. Es gab noch ein paar Variationen in denen aber Susanne immer die Ladenbesitzerin war, lediglich Beate und ich wechselten die Rollen.
Nachdem wir einige Einkäufe gemacht hatten, wobei die gekauften Waren gleich nachher wieder in die Regale geräumt wurden, gab es noch "Kaffee&Kuchen" im Café nebenan des Kaufmannsladen, aus der Puppenküche.
Die winzigen Tässchen waren ebenso leer wie die Waschmittelkartons im Laden gewesen wären und der Kuchen war die Torte aus dem Laden.
Die Mädels waren wirklich voll ausgerüstet!
Bei mir jedoch blieb eine Mischung aus Langeweile und beinahe tastbarer Sinnlosigkeit zurĂĽck.
Das machte nicht wirklich so viel Spass wie die Nachmittage auf der Baustelle, wo alles echt war
, statt dieses blöden fünften Mals den selben Kafi zu kaufen mit den selben Geldscheinen zu bezahlen. Das einzig schöne war, dass Beate die ganze Zeit an mir hing und mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit küsste. Aber in dem Alter hatte das offenbar nicht den selben Stellenwert für mich, den es ein paar Jahre später haben würde.
Nachdem ich die Zwillinge, eine Weile später, doch noch, ein letztes Mal, rumkriegte, mit mir wieder auf die Baustelle zu gehen und im Matsch zu hocken und den fluchenden Arbeitern zuzugucken, gab es wohl Ärger zwischen meinen Eltern und denen von Susanne und Beate.
Ich durfte jedenfalls nicht mehr mit den beiden spielen, auch nicht bei ihnen zuhause in den rosa und lindgrünen Mädchenzimmern.
Sie fehlten mir zwar, vor allem Beates Nähe, aber damals war es leicht neue Freunde zu finden und so vergass ich sie nach und nach … fast.
Was aber blieb, war dieses Gefühl von Langeweile, das mich bei allem Geschäftlichen überkommt.
Mir ist jede Form von Handel und BĂĽroarbeit ein unendlicher Graus und diese ganze kapitalistische Welt erinnert mich immer wieder an diesen Kinderkaufladen von Beate und Susanne.
Dann hab ich, vor ein paar Jahren, bei Herrn Waldner, in einer kleinen Garage, irgendwo im Luzerner Hinterland, ein Auto gekauft.
Sicher! … er wollte mir was verkaufen und war auch deswegen freundlich und kommunikativ.
Aber da war mehr … als ich ihm erzählte, dass meine Mutter ins Altersheim muss, sagte er einfach: “Tut mir leid” … von da an war er keine Verkäufer mehr, sondern ein Bekannter.
Nachdem der Vertrag schon unterschrieben war, hatte der Wagen einen kleinen Mangel, der noch unter die von Herrn Waldner gegebene Garantie fiel. Er brachte das in Ordnung, ohne Diskussion ohne Zögern und fragte dann: “... und wie gehts Ihrer Mutter im Altersheim?”
Lange danach haben wir noch mal telefoniert, weil ich ein neues Auto brauchte. ER wusste sofort wer ich war, erkundigte sich nach meiner Mutter und nach dem Auto, das er mir verkauft hatte und erzählte, dass er nun den Betrieb seinem Sohn übergibt und in Rente geht.
Kapitalismus geht auch anders.
Aber eigentlich wollte ich ja über das Eingepresstseins in Arbeitsbedingungen erzählen.
… -
aber wenn ich`s mir grad recht ĂĽberlege, dann hab ich das wohl getan ...
However!
hier kommt noch mein derzeitiges Lieblingsrezept: