11 April, 2019

Trusting

 "Philosophie ist eine Form der Verzweiflung" Heini                                                 Comic "Calvin and Hobbes" Bill Watterson                                                                                                                                                     



Manche Menschen vergisst man nie. 

Mein Freund Heini war ein LebensKünstler. 
Für sein Alter, wir waren damals alle so knapp 20, war er bereits auf einem Niveau von Unabhängigkeit angekommen, das, jedenfalls mir, völlig neu war. 

Er hatte jeden Tag den selben, dunkelblauen, löcherigen Polyesterpullover an, ging in Birkenstock, einzig bei grosser Kälte gab es dazu noch ein Paar Socken in graubraun, ansonsten waren diese wie der Pullover. An seine Hose kann ich mich nicht wirklich erinnern, aber während wir uns alle in enge Jeans zwängen, bleibt mir ein Bild von etwas Schwarz-schlabbrigen zurück. 
Seine Hände jedenfalls waren immer in ihren Taschen versenkt. 
Eines Tages neckte ich ihn damit: "Ich denke sie werden dich mit Händen in den Hosentaschen beerdigen, eines Tages." Er schaute mich einen Moment lang an, schien zu überlegen, antwortete mit fast schüchterner Stimme: "... na dafür nehm ich sie jedenfalls bestimmt nicht raus." 

Wir machten damals beide das Fachabitur in der nächstgrößeren Stadt, trafen uns meist schon im Zug, auf dem morgendlichen Weg dorthin. Am Abend fuhren wir oft gemeinsam wieder zurück. So blieb uns viel Zeit zum Plaudern und Anfreunden und Verabreden um etwas zu unternehmen. 
Ich steckte damals grad am, von mir noch nicht vollständig realisierten, Ende meiner ersten längeren Liebesbeziehung und war auf dem Sprung das Elternhaus zu verlassen. Heini hatte sich damals auch grad getrennt und so hatten wir ein Thema. 
Wir gingen gemeinsam fotografieren und in Konzerte, hörten Jazz von Schallplatten und rauchten, kifften und soffen, wie es der Situation angemessen war. 
Mit uns unterwegs waren oft unsere hübsche Freundin Tara und der zottelige Micha ein kluger Mann, der malte wie ein junger Warhol. Ich denke wir waren alle drei in Tara verknallt, die aber stand so gar nicht auf Hippies der 3. Generation, schnappte sich statt dessen einen unserer Lehrer und erzählte uns brühwarm von ihren Abenteuern mit ihm. 

Zu jener Zeit war ich, trotz deutlich erkennbarer Risse und der sich am Horizont abzeichnenden Weggabelung, die uns in verschiedene Richtungen führen würde, noch mit meiner Geliebten Katrin zusammen. 
Auch sie lernte meine Freunde kennen und obwohl man sehen konnte, dass dies nicht ihre Welt war, war sie immer öfter mit uns unterwegs. Ich wunderte mich so halb darüber, zur anderen Hälfte hoffte ich aber wohl, dass uns die Zeit mit den Freunden wieder mehr verbinden würde. 

Eines Tages, wir hatten das Fachabitur alle bestanden und die gemeinsame Schulzeit würde bald vorbei sein, sprach mich Heini auf einem Spaziergang, auf dem wir nur rumblödelten, ernst an. 
"Lass mal den Quatsch jez! … ich muss Dir was sagen … und das fällt mir nicht leicht. Damit Du verstehst, dass es ernst ist, mache ich das hier ... " 
Er nahm zu meinem grössten Erstaunen, seine Hände aus den Hosentasche, griff meine Hände und sprach weiter: "Deine Freundin hat mich letzte Woche besucht und sie wollte was mit mir machen … ich dachte, das würde Dir nicht gefallen. Also hab ich sie weggeschickt. … Verstehst Du?" Dann liess er meine Hände los, trat einen Schritt zurück und schaute mich an. 

Mir war übel. Ich konnte weder atmen noch nicht atmen. 
Ich liess Heini stehen und ging davon, schaute mich nicht mehr um, nahm den nächsten Zug nach Hause. 

Obwohl das Ende der Zeit mit Katrin in Sicht gewesen war, zerbrach etwas in mir. Ich schlief wohl erst gegen Morgen ein, meine Mutter weckte mich spät, es war ein Samstag, das weiss ich noch. "Heini ist am Telefon, komm mal runter bitte!" 

"Wie geht's Dir?" fragte er  "Willst Du herkommen?" fuhr er fort. 
So sass ich zwei Stunden später auf seinem Sofa und wir tranken Bier. 
Plötzlich stand er auf, ging zu seinen Eltern ins Wohnzimmer, ich hörte eine lautstarke Verhandlung, kurz darauf stand er mit einer Flasche Champagner und Gläsern in der Hand wieder im Zimmer.
"Komm, Mann! Lass uns das feiern! Du bist die Alte bald los und in 3 Wochen ziehst Du bei Deinen Eltern aus!" 

Er hatte Recht, vor mir lag ein neues Leben … 

… und er hatte extra für mich die Hände aus den Hosentaschen genommen! 



Luzern, 9. April 2019 im Spital