01 November, 2019

Smelling


Licht und Luft gaukeln uns eine Welt vor,
die letztlich nur aus Atomen und Schwingungen besteht,
der Rest ist unsere Interpretation.

Mit dem beginnenden Alter lassen die Sinne nach.
Neulichs war ich bei meiner Augenärztin, die mich einerseits mit ihrer, ständig von einem Knöpfchen zu wenig zugehaltenen, Bluse und der zackigen Anweisung “jetzt bitte nach unten gucken” andererseits mit dem Ergebnis des Sehtests durcheinander brachte.

So brauche ich mal wieder eine neue Brille. 
Gestern also dann beim Optiker rein.
Die Lady, die mich bediente, war ordentlich zugeknöpft, ebenso in der Begegnung mit mir.
Sie versuchte immer mal wieder zu lächeln, während sie mich zutextete, das erinnerte mich jedoch eher an einen Haifisch, als an etwas Menschliches. Ausserdem stank sie so dermassen nach Parfum, dass ich erst Kopfschmerzen und dann ein regelrechtes Bohren hinter den Augen bekam. 


Denn es gibt zwei Dinge, die anderen Menschen nichts oder wenig ausmachen, bei mir aber verheerend sein können. Das Eine ist vorgetäuschte Freundlichkeit und das Andere aufdringliche und künstliche Gerüche.*
Sie hatte beides.
Ich unterbrach ihren Redeschwall, verabschiedete mich ein wenig hastig und rannte draussen genau in Nina, eine alte Bekannte, rein. Ich hätte sie fast nicht erkannt … eben ... wirklich! … ich brauch dringend `ne neue Brille.

Nina ist voll öko und riecht nie nach Parfum, eher nach Ziege, gutem Dung und frischer Milch, denn seit ein paar Jahren lebt sie auf einem Hof.
Ausserdem ist sie nie freundlich, wenn es keinen Grund dazu gibt.
So war ich glücklich, grad sie zu treffen und umarmte sie herzlich.
Hinter ihr rage ihr Freund auf, der gefühlte 80 cm grösser ist als ich und das gleiche Raubfischgrinsen zeigte wie das der Optikerin der ich grad entkommen war.


Durch den lieblichen Landduft hindurch roch ich etwas anderes, was mich von ihm her anwehte. Eine Mischung aus frischem Blut und rostigem Metall.
Er gab mir die Hand, die sich anfühlte wie ein seit 3 Tagen totes Ferkel und fragte mich dies und das Belangloses und grinste weiter mit gefletschten Zähnen.
Nina und ich hatten keine Chance ein paar Worte zu wechseln, denn er drängte zum Aufbruch 
“Wir müssen noch fürs ganze Wochenende einkaufen” kramte er hastig eine Erklärung hervor … auch einer von denen, die ein Mal pro Woche in der Angst leben, bis Montag zu verhungern.


Nina und ich tauschten noch einen Blick “Ein anderes Mal” sagte sie zum Abschied …
“Ja gern!”

Der Duft nach Landleben verblasste, was noch einen Moment blieb, war sein Mief von abgestandener Eifersucht.
Ich hatte plötzlich das Bild von alten rostigen, blutverschmierten Messern und Schwertern.
Das scheint nun auf den ersten Blick vielleicht ein wenig sinnlos, kapriziös oder gar durchgedreht. Aber allen die jetzt grinsend nicken, möchte ich zu bedenken geben, dass, das nächste Mal wenn mir jemand begegnet, der eifersüchtig ist, ich wieder Blut und Eisen riechen werde.


Wenn ich meine Lebenslinie so anschaue, dann ist klar, dass ich dem Ende näher bin als dem Anfang … egal wie gesund ich mich ernähre, wie wenig ich saufe und mein Jing zusammenhalte, kann ich meiner unausweichlichen Auflösung in der grossen Matrix, bestenfalls noch ein paar zusätzliche Jährchen abknapsen.
Ebenso klar ist, dass die Fähigkeit, komplexe Situationen angemessen wahr zu nehmen und einigermassen korrekt auf sie zu reagieren in den kommenden Jahren abnehmen wird.


Wie alle Sinne lässt auch der Geruchssinn im Alter nach … oder besser gesagt, er verändert sich.
Durch die weniger intensive Wahrnehmung von aussen, produziert er offenbar ... bei mir ... Gerüche die von innen kommen … also macht Reaktionen auf ganz andere als auf reale Geruchseindrücke. 
Was soll er sonst auch tun, wenn er mangels äusserer Reize beginnt sich zu langweilen.
Sinne, die nicht mehr so recht zu brauchen sind, suchen sich ein neues, sinnvoll einsetzbares Aktionsfeld. 
Während mein schwächelnder Geruchssinn selber Gerüche generiert bastelt meine Unterbewusstsein daraus Bilder und zeigt mir diese dann wieder wenn ich in eine ähnliche Situation gerate und mal nicht schnalle, was da eigentlich grad passiert.
Irgendwie wie eine interne Unterstützte Kommunikation.
So sehr sind also Geist und Körper miteinander verwoben.


Natürlich riecht heutzutage niemand mehr wirklich nach Meuchelmord, Schlachtfeld oder Henker, aber offenbar assoziiert mein Hirn bestimmte, sagen wir mal befremdliche Verhaltensweisen mit spezifische archaischen Gerüchen.


So baut mein Hirn dem körperlichen Abbau vor, macht sich auf eine etwas seltsam-überirdische Weise bereit für die mageren, introvertierten Zeiten.



Yeeeeeha … auf in ein seltsames und lustiges Altwerden.




"Körper und Geist 
sind eng
miteinander verbunden, 
sie stehen in 
ständigem Austausch 
miteinander." 


Ein westlicher Arzt, der eng mit dem
“Zentrum für traditionelle tibetische Medizin” 
zusammenarbeitet. 
ARTE 24.10.`19 /  Doku der Reihe: 
360° Die Geo-Reportage 
Episodenname: Tibetische Medizin 




* ach ja, und unterirdische Räume!



geschrieben 31.10. `19 in einem Wartezimmer, gepostet nach langen, fruchtlosen Überlegungen 02. Nov. 2019