27 Februar, 2021

Acting


Manchmal, wenn sich jemand über mich beschwert und leider muss ich sagen, oft haben sie nicht unrecht damit, dann witzle ich rum, dass sie mich ja nur ein paar Stunden oder Tage aushalten müssten, ich selber jedoch, mir Tag und Nacht ausgesetzt wäre. Nun ist es aber wirklich nur ein Scherz, denn so unangenehm finde ich mich eigentlich gar nicht und wenn ich denn mal genug hab von mir, dann kann ich ja immer noch jemand anderem auf den Wecker gehen. 

Was selbst einige meiner besten Freunde nicht wissen, ist, dass ich in den Neunzigern zwei Schauspielausbildungen machte.
Die Erste war Bestandteil einer Ausbildung zum Körpertherapeuten. Ich tappe sozusagen so ganz nebenbei in sie hinein und, obwohl ich nicht gerade grosses Talent zeigte, machte es mir doch Spass, in die Rollen zu schlüpfen und mal nicht nur Ich-selber zu sein.

Die Zweite jedoch suchte ich mir ganz bewusst, nahm regelrecht Unterricht in Schauspiel und Regiearbeit, jeden Samstag von 9:00 bis 16:00,  in einer Gruppe von vielleicht acht Schülern, probten wir und trafen uns unter der Woche noch zu zweit oder dritt, ohne unsere Lehrerin, um uns in unsere Rollen einzufinden.


Zurück zum Schauspiel. 

Obwohl ich nie auf einer richtigen Bühne vor richtigem Publikum, oder in einem richtigen Theater spielte und nie Geld damit verdiente, bekam ich doch recht schnell einen Einblick in das was Schauspieler so tuen und können - kurz gesagt eine klare Vorstellung über den Kern des Handwerks.

Nun ist es mit der Schauspielerei genau so wie mit jedem anderen Beruf, es gibt Talente, die mit etwas Fleiss und Ausdauer es zu verdienter Anerkennung bringen und es gibt Solche, die ohne diese drei Fähigkeiten bestenfalls ein schiefes Grinsen bei den Zuschauern hervorbringen. 


Mit dem Schauspielern war es für mich ein wenig wie mit dem Saufen.
Bis ich mit 16 Jahren in die Lehre kam, trank ich gar keinen oder wenn dann nur aus Verzweiflung, Alkohol - ich muss wohl nicht betonen, dass 16 ein Alter ist, in dem ein dürrer, pickliger Junge, der mit seiner ersten unerwiderten Liebe konfrontiert ist,  jeden Grund hat verzweifelt zu sein.

Als ich dann in die Lehre kam, meine Tage in der Werksatt oder auf Baustellen verbrachte, nötigten mir die Kunden oder die Arbeitskollegen immer wieder ein Bier auf und im Winter - wegen der Kälte versteht sich - noch das eine oder andere Schnäpschen.

Innerlich und äusserlich noch ein schlaksiger und unsicherer Bengel, der kaum einen zusammenhängenden Satz hervorzubringen wagte, verhalf mir der Alkohol zu einer ausreichenden Portion Humor und Schlagfertigkeit, dass ich mich, nach und nach, in die Erwachsenenwelt einlebte, hinlänglich Anerkennung bekam und doch wenigstens ein wenig Spass im Umgang mit anderen Menschen fand.


Zurück zum Schauspiel.

Wie gesagt, stolperte ich in die erste Schauspielausbildung so nolens volens hinein. Ähnlich meiner Erfahrungen mit dem Alkohol, nahm ich die Bühnenarbeit zuerst nur mit Angst und Ablehnung an. Dann aber - mit den ersten milden Erfolgen - kam eine gewisse Trunkenheit über mich, die etwas von der Lust am Risiko in sich trug, aber ebenso den Genuss des inneren Wandels von meinem AlltagsIch zu einem Irren oder einem König einer Katze oder einem Kind.
Es ging nicht so sehr darum, mich selber los zu sein, sondern, eher wie eine Schlange mich zu häuten und die alte Haut abzustreifen und die neue, geschmeidige, fremde und noch feuchte Haut der Rolle auszuprobieren. Es hatte etwas von Loslassen, Vergehen und wieder neu Werden. 

Denn wir alle haben verschiedene Rollen in uns und sind so viel mehr als nur das eine Individuum, für das wir uns irgendwann mal, aus Gründen der Bequemlichkeit oder der vorhanden Möglichkeiten entschieden haben und als das wir jeden Tag aufstehen und in die Welt hinaus gehen.


Gib dem Idioten in Dir Raum, dem Löwen, dem Tolpatsch, dem Buchhalter und dem Abenteurer, sei Huckleberry Finn oder Spiderman, eine Tunte oder die Tante, der Direktor eines Grosskonzerns oder Van Gough. 

Sehe und spüre Gelüste und Triebe in Dir nach oben schwimmen, von denen Du keine Ahnung hattest oder gib ein gekonnt-legeres “Na und!?” zurück, in einer Situation nach der Dein AlltagsIch verzweifelt nächtlang wach liegen würde. 


Heute, über 20 Jahre nach diesen Tagen in diesen vier Sommern, die ich auf der Bühne verbrachte, heute, lange nach diesen Zeiten, in denen Ich nicht immer Ich sein musste und wollte, retten mir meine Erfahrungen von damals immer wieder Mal den Arsch.

Der Ausbilder bei dem ich die damals Körpertherapie lernte und der mein erster Schauspiellehrer, war, sagte immer: “Für diese Ausbildung gibt es keine Medaillen, sondern bestenfalls Strafzettel.”


Es ist wohl so, manchmal bin ich für andere nur schwer auszuhalten, aber ich kann, wenn ich will, auch anders - und darin - in dieser meiner Wahl - existiert eine Freiheit, die so endlos ist wie der Himmel über der Prärie. 




Geschrieben in einem Rutsch ohne lange nachzudenken am 27. Feb. 2021 auf meinem Sofa