23 August, 2019

Imagining


Bild: mal kurz ausgeliehen bei: 
https://soranews24.com/2012/09/28/hilarious-comic-about-room-sharing-jesus-and-buddha-saint-onisan-to-become-animated-movie/ 




Nun kann ich das akzeptieren, oder ein Riesengeschiss draus machen, dass mir immer wieder religiöse Themen in den Sinn kommen.
Jedoch, nach meinem Treffen mit einer Buddhistin und dem mit einer Psychologin, neige ich, gemĂ€ss dem Rat der Buddhistin momentan dazu, los zu lassen und mich mal Dem auszusetzen, was eben so passiert und die Psychologin mahnte mich, in wohl selber Absicht: 
„Es fĂŒhrt auch ein gangbarer Weg am Arsch vorbei.“

Ihr erinnert Euch, dass die RĂŒckenlehne von meinem Sofa, mein eigentlicher spiritueller Ratgeber ist ?! Oft ungefragt mischt sie sich in mein Leben ein, auditiert mein Verhalten oder motzet einfach auch mal so rum.

However!š
Nun 
 was soll ich sagen 
 heute gegen 16:00h hatte ich plötzlich das Verlangen nach billigem amerikanischen Whisky. Lieber wĂ€re mir der billige Canadische gewesen, aber offenbar hat sich die Schweizer Aussenhandelskommission entschieden, den nicht ins Sortiment zu nehmen.

Jedenfalls 
 gesehnt, getan 
 fuhr ich in den nĂ€chstgelegenen SpirituosenLaden und griff mir meine bevorzugten Marke „Four Roses“ 
 weil es meinen eigentlichen Favoriten,  â€žWild Turkey,“ ebenfalls wegen dieser, ev. inexistenten Schweizer Aussenhandelskommission, auch nicht gibt.

Wieder daheim, kaum den AutoschlĂŒssel versorgt, Schrank auf, Whiskeyglas und „hopp de Bese“ zuerst noch moderat, dann aber zunehmend furioser, nahm ich ein bis drei GlĂ€schen.

So sitze ich also auf  mei`m Sofa, die Weise RĂŒckenlehne hebt grad an, mir einen Vortrag ĂŒber die Unbilden von unkontrolliertem Alkoholgenuss zu halten, da passiert etwas völlig Unglaubliches.

Neben der weisen RĂŒckenlehne, die ausgewiesenermassen SEHR weise ist, hat mein Sofa auch noch eine Kopf- und eine Fusslehne oder zwei Armlehnen 
 je nach dem, wie man es betrachtet.

Auf diesen beiden eben, erscheinen, zuerst noch schemenhaft ...

 ich denk noch so: â€žna gut, ich hab halt ein` im Tee!“ ... zwei Gestalten, 
die sich dann jedoch vollends materialisieren, der eine in einer weissen Toga, der andere in so einem safrangelben indischen Dingsbums und stellen sich sehr höflich, aber etwas distanziert, als Jesus und Buddha vor.

Ich daraufhin: „ne, Ă€cht jez?!“

„ja, Ă€cht jez“ Ă€fft mich Jesus nach 
 „un sach ma, muss die Sauferei jez Ă€cht sein?“ fĂ€hrt er in meinem Duktus fort.
Buddha beugt sich ein wenig zu mir rĂŒber, er duftet nach RĂ€ucherkerzen 
 nach Nag Champa um genau zu sein 
 „Der is voll!“ diagnostiziert er.
Jesus beugt sich auch rĂŒber, er riecht komischerweise irgendwie nach Weisswein „Das issea Ă€cht“ behĂ€lt er seine Imitation bei.

„Eigentlich“ spricht Buddha „sind wir gekommen, um Deine Fragen ĂŒber das Leben, die Liebe, den Tod und den ganzen Rest zu beantworten!“

Ich bin sprachlos.
„Sag was!!!“ sagt meine weise RĂŒckenlehne und stupft mich in den RĂŒcken. 
Sie scheint mir ein wenig unter Zugzwang zu stehen.

So bleibt mir nichts als zu versuchen, der Situation gerecht zu werden:
Ich greife also unter den Beistelltisch von Ikea nach der Flasche „Four Roses“, schenke mir einen Doppelstöckigen ein, kippe ihn runter, denke noch kurz nach, ob mein Anliegen angemessen ist, besinne mich, dass ich ja SozialpĂ€dagoge bin, und damit absolut jeder Situation gewachsen, und, falls nicht, ich es anschliessend professionell reflektieren werde, und entschliesse mich zu sagen:
„Echt Jungs, nich jetzt! 
 lasst uns das auf morgen verschieben, O.K.?“

Die beiden Gestalten, zu meiner Rechten und Linken sitzend, seufzen gleichzeitig auf, werden blasser und blasser, bevor sie in weissem, bzw. safrangelbem Rauch vergehen, es riecht ein wenig streng nach Sandelholz, Weihrauch und Weisswein und meine weise RĂŒckenlehne rĂ€uspert sich kurz und sagt „Vollidiot“

geschrieben und gepostet in Luzern am 23. August 2019

18 August, 2019

Missing


Jackson Pollock, Unformed Figure (1953)

Helena begegnete mir in der Mitte der 80er Jahre.
Damals, obwohl schon fast 30, studierte ich tagsĂŒber, verdiente mein Geld als Taxifahrer, Kellner, Barmann, Tischler, Zeitungsbote und Roadie und holte in den NĂ€chten meine verpasste Kneipenphase nach. 

Nie zuvor, aber auch nie wieder danach, lebte ich in einem so breit gefĂ€cherten sozialen Umfeld. 
Die Menschen meiner Tage an der Hochschule, in den diversen Jobs und die Menschen meiner NĂ€chte in den Bars und Discos hatten eine ĂŒberschaubare Schnittmenge. 
Ganz an den Àusseren RÀndern der Gruppen bewegten sich die Sonderlinge, die Bestaunten und die GeÀchteten, die Gemiedenen und die UmschwÀrmten.

Eine der auffÀlligsten Figuren war sicher Helena.
Sie war klein und zart und Ă€usserlich eher unauffĂ€llig, fast schon wirkte sie jungenhaft mit ihrem kurzen, dĂŒnnen Haar und den knappen weiblichen Rundungen, sie war laut und direkt und ehrlich, trug selbstgeschneiderte, zum Teil völlig abgedrehte Kleider und wer in ihre NĂ€he kam, spĂŒrte ihre ausgeprĂ€gte PrĂ€senz und ihre klare innere Kraft. 
Wer also mit seinem Leben nicht zurecht kam, und das waren viele von denen, um mich herum, damals. Wem seine Liebesbeziehung entglitt oder wer eine anvisiert hatte, aber nicht wusste, wie aufgleisen, der redete mit Helena. Nicht nur, dass ihre RatschlÀge eine aussergewöhnlich hohe Trefferquote hatten, allein mit ihr zu reden, machte den Tag irgendwie heller und die NÀchte wohliger.

Als ich das erste Mal mit ihr sprach, schenkte sie mir eine Art von absolut ungeteilter Aufmerksamkeit, stellte die genau richtigen Fragen und brachte mich auf leisen FlĂŒgel dazu, Dinge ĂŒber mich zu erzĂ€hlen, die ich mir selber noch nie so bewusst gemacht hatte, hob mir ZusammenhĂ€nge ĂŒber den inneren Horizont, die zuvor dahinter verborgen gelegen hatten. Sie machte, dass ich mich fĂŒhlte wie sich meine Hand anfĂŒhlt, wenn sie in den genau passenden Handschuh schlĂŒpft. 
Wir trafen uns von da an, zuerst mehr oder weniger zufÀllig, dann zunehmend verabredeter auf unseren Kneipentouren und auf Partys, in den folgenden Wochen immer hÀufiger.

Langsam begann ich  in ihren wasserblauen Augen zu ersaufen und trĂ€umte eines Nachts davon, wie meine Finger durch ihr dĂŒnnes, glattes Haar glitten und ihr Kopf in meine Hand sank. Ich traf sie am nĂ€chsten Tag beim Einkauf. Sie schaute mich mit leicht seitlich geneigtem Kopf an, wirkte zuerst ein wenig verdutzt, dann lĂ€chelte sie umarmte mich und flĂŒsterte "ja" in mein Ohr. 

Auf die nĂ€chsten Party, fĂŒr die wir locker verabredet waren, kam sie lange nach Mitternacht hereingeschneit, nie werde ich das quitschgrĂŒne Kleidchen mit den knallroten RosenblĂŒten und ihre dĂŒnnen Beinchen in den klobigen schwarzen Springerstiefeln vergessen, die spiddeligen, kurzen Haare mit rosa Schnippgummis zu unzĂ€hligen Zöpfchen gebunden, erinnerte sie am ehesten an eine Mischung aus Pipi Langstrumpf und einem furchtbar verunglĂŒckten Jackson Pollock.
Sie steuerte schnurgerade auf mich zu, baute sich vor mir auf, indem sie die HĂ€nde in die schmalen HĂŒften stemmte und unangemessen laut verkĂŒndete: "Alter, heut Nacht leg ich Dich flach!" 
Dann zog sie, den rechten, Stiefel aus, tunkte den nackten Fuss in eine der dafĂŒr von der Wohngemeinschaft bereitgestellte SchĂŒsseln voll Farbe, stĂŒtzte sich auf meiner Schulter ab und drĂŒckte ihren Fuss zwischen all die anderen AbdrĂŒcke, die dort schon an der Wand waren. Dann liess sie sich breitbeinig auf meinen Schoss plumpsen.

Helena nahm mich, wie versprochen, eine Frau, ein Wort.
So wurden wir irgendwie ein Paar, fĂŒr ein paar Monate, denn jeder von uns beiden steckte noch in einer "richtigen" Beziehung.
An dieser wollte sie auch nicht rĂŒtteln 
 denn Helena war neben ihrem schrankenlos burschikose Auftreten, neben den durchsoffenen und durchgemachten NĂ€chten, neben ihrer kompromisslos liebenswerten Art auch noch praktizierende Christin und sang im Kirchenchor.
Ich hab sie ĂŒbrigens mal singen gehört, ihre Stimme war so klar wie ein Novembermorgen nach einer klirrend kalten Nacht.

Wir versuchen mehrmals, wegen der "richtigen" Beziehungen, mit unseren SchĂ€ferstĂŒndchen und -nĂ€chten aufzuhören. Was sich jedoch als nicht so leicht durchfĂŒhrbar erwies.
Ich erinnere mich, nach einer dieser "vernĂŒnftigen" Trennungen, trafen wir uns zufĂ€llig auf einem Stadtfest, sagten uns artig "hallo", machten ungewohnt erwachsene Konversation miteinander, ĂŒber Bekannte und Jobs und 
 was weiss ich denn noch. Es fĂŒhlte sich jedenfalls fremd und saublöde an. Dann, der Smalltalk war am versiegen, schauten wir uns an.
Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite, lÀchelte und nickte. Als NÀchstes sassen wir in einem Taxi, dass uns zu meiner Wohnung fuhr.
"Die Schwerkraft ist ein Scheissdreck, gegen das, was uns zueinander zieht!" sagte sie nachher, als der Morgen graute.
"ja"

Auch Helena hatte mehre Jobs, studierte Malerei und engagierte sich kirchenseits fĂŒr obdachlose Frauen. Ihre "richtiger" Freund, den sie eines Tages heiraten wollte und Kinder mit ihm haben, beanspruchte auch seinen Anteil ihrer Zeit und Energie.
So kam es, dass wir uns tatsÀchlich irgendwann seltener trafen.

Ich begann einen "richtigen" Job, der sich mit meinem nĂ€chtlichen Streunen nicht vertrug und Helena wurde krank und bekam wenig spĂ€ter die Diagnose: LymphdrĂŒsenkrebs.
Sie verkĂŒndete das in gewohnt lauter und liebenswert rĂŒckhaltlose Weise auf der Party zu ihrem 26 Geburtstag.

Sie verschwand von der BildflĂ€che bald danach, in irgendwelche SpitĂ€lern und Therapien. Facebook und Mobiltelefone gab's noch nicht und keiner der Freunde wusste so recht wo sie war und wie es ihr ging. Wir lebten unser Leben weiter und ab und zu erzĂ€hlte mal jemand, was er so ĂŒber sie gehört hatte. Ich blieb meist still, denn mein Herz fĂŒhlte sich jedes Mal an, als sei es auf eine heisse Herplatte gefallen, wenn ich an sie dachte.
Ich hielt Distanz, kĂŒmmerte mich um Job und "richtige" Beziehung und den Rest von dem Zeugs, den man in diesem Alter fĂŒr wichtig hĂ€lt.

Eines Abends klingelte mein Telefon. Helenas Vater, den ich vom Sehen kannte, war dran und bat mich, sie mal zu besuchen. Sie wĂŒrde in den nĂ€chsten Tagen aus dem Spital nach Hause kommen, es gehe ihr Recht gut und sie habe nach mir gefragt.

Sie war noch dĂŒnner geworden, trug eine Marilyn Monroe PerĂŒcke und ihre blassblauen Augen waren noch blasser und unnatĂŒrlich gross. 
Trotzdem war sie schön, eine Schönheit die jeden Moment vom Wind weggeweht werden konnte und darum um so kostbarer schien.
"Kack-Chemo" sagte sie und zeigte auf ihre Haarpracht.

Ihr zukĂŒnftiger Ehemann hatte sie verlassen und die eigene Wohnung hatte sie aufgeben mĂŒssen, lebte wieder bei den Eltern.
Sie brauche dringend  Sex sagte sie mir und mit uns beiden, sei das immer so "nahtlos" gegangen ... 

 sie sagte tatsĂ€chlich " nahtlos" 
 und das war das genau richtige Wort dafĂŒr.
Ob sie Sonntag zu mir kommen könne, fragte sie, denn hier bei ihren Eltern 
 " na, ja!"
... aber erst am Nachmittag, ergÀnzte sie, denn morgens wolle sie noch in den Gottesdienst gehen.

Am Sonntag lĂ€utete es sehr frĂŒh an meiner TĂŒr. Als ich völlig verpennt öffnete, stand Helena dort, klein, zart, jetzt mit Baseballcap, statt PerĂŒcke auf dem haarlosen Kopf.  
Fast schĂŒchtern sagte sie " ... das mit dem Sex und so weiter" 
 sie habe sich nun doch entschlossen, zu mir zu kommen, statt der Kirche zu geh'n.

Wir verbrachten einen Tag im Bett und halb angezogen auf dem Balkon mit Kaffe und Kuchen und spÀter mit Pizza, wÀhrend der Regen in den BÀumen rauschte
"Du hattest also die Wahl zwischen dem Lieben Gott und mir?" fragte ich beim Rotwein.
"ja" sagte sie leise und legte den Kopf an meine Schulter. 
Dann wollte sie spazieren gehen ... 
... das war im August vor 35 Jahren ...
Wir gingen nebeneinander unter ihrem Schirm.
Sie faltete ihn zusammen und steckte ihn in einen MĂŒlleimer.
"Lass uns zusammen durchweichen"
"ja"

Wir sahen uns noch ab und zu, zwischen Spitalaufenthalten und langem Schweigen lagen wir hin und wieder in einem zerwĂŒhlten Bett. Ihre Eltern gingen aus dem Haus, wenn ich zu Besuch kam 
 einmal, schon in der HaustĂŒr auf dem Weg nach draussen, umarmte mich ihr Vater. "Scheisse, Mann" sagte er.

Helena ist dann mit nicht mal 30 gestorben, als ich schon weggezogen war aus der Stadt in der wir beide damals lebten.

Ja, es war irgendwie "nahtlos", berĂŒhrend und einfach mit ihr, wie ein Bild von Jackson Pollock.
Und nie wieder hab ich solch ein Kompliment bekommen 
 wie ihr einfaches, kleines, leises "ja".




......
fĂŒr M.H. đŸŒčâ˜‚ïžđŸ§šâ€â™€ïž


geschrieben/gepostet am 16./18. August 2019 in Luzern

13 August, 2019

Viewing

Roadtrain ... beim Sandfire Roadhouse, Western Australia


Vor vielen Jahren sprach ein Freund vom Sehen.

Er erklĂ€rte uns, dass er selber, auch beim Autofahren, das „defokussierte, geweitete Sehen“ praktizierte.
Dabei macht man genau das Gegenteil vom ĂŒblichen sich Konzentrieren und Starren und Glotzen und bewusst Hinschauen.
Es ist eher ein Loslassen, ein SichHingeben, den Blick weiten, eine Art von schwebender Aufmerksamkeit.
Es erinnert viel mehr an eine Meditation, als an unsere Alltagsaufmerksamkeit. Die Augen sind auf Breitwand eingestellt.
Nichts denken, nichts wollen, nichts erwarten, angstfrei und entspannt in sich selber ruhen.
So bleibt man, wie die eigenen Augen, relaxt und verpasst trotzdem nichts. Mir selber kommts sogar vor, als bekomme ich so viel mehr mit als im `StandartZustand` 

Auf meinen Reisen bin ich viele tausend Kilometer gefahren. In dieser Zeit war ich tage- wochenlang - oft monatelang allein auf der Strasse unterwegs, habe nur fĂŒr die profanen Notwenigkeiten angehalten.

Die USA waren wunderbar zum Fahren, vor allem 2013 in der WĂŒste von Nevada war ich, auf den ewigs langen, graden Strassen, mehr als nur glĂŒcklich. 
Die Staaten sind zwar weitlĂ€ufiger und, je nach Region, dĂŒnner besiedelt als Europa ...

... der totale Kick war jedoch Australien:
Als ich erstmal aus Sydney und dem relativ europĂ€ischen New South Wales raus war, konnte ich gar nicht mehr aufhören zu fahren. 
Der Sog der Strasse nahm mich mit sich und ich fuhr, abgesehen vom Schlafen usw. 5 Tage durch bis es nicht weiter ging, weil ich mit den VorderrÀdern, irgendwo nördlich von Perth, am Saum des Indischen Oceans stand.
SpĂ€ter 
 nach ein paar Tagen Ruhe auf einem Campingplatz am Strand, packte mich die Reise- und Fahrsucht wieder 

 I kept driving 'n' driving 
 
und ich begann sogar, das Schlafen teils „out-zu-sourcen“ aus der Nacht. 

Denn oft fuhr ich bis die Sonne untergegangen war und krabbelte von der LadeflÀche wieder in den Fahrersitz sobald es hell wurde.
So schlief ich, wenn ich wĂ€hrend des Tages, unterwegs, mĂŒde wurde, im Auto, fand eine „Technik“, eine Meditation, Ă€hnlich der des „geweiteten Blicks“ nur eben mit geschlossenen Augen, die mich in wenigen Minuten eindösen liess und mich eben so zuverlĂ€ssig nach ca. 10-15 Minuten wieder weckte. Denn ich durfte nicht lange schlafen, weil der Motor laufen musste um die Aircontion zu betreiben, sonst wĂ€re das Auto zum Bratrohr geworden.
Nach dem Nickerchen war ich jeweils fit  fĂŒr die nĂ€chsten paar hundert Kilometer.

So flog ich nach Norden, im Einklang mit dem Wagen, den ich inzwischen 
Flat White* getauft hatte und mir selber. 
Ich lebte in einer anderen Welt, war mein eigner Herr, traf meine Entscheidungen nach meinem GutdĂŒnken und gab mich ganz meiner Lust und meinen Launen hin. Abgeschnitten von den repressiven Systemen der westlichen Arbeitshaltung galt es neue Strukturen zu erfinden 
 und das war gar nicht so einfach wie`s vielleicht scheint.

Ich fuhr also mit dem geweiteten Blick, der ĂŒbrigens auch das Herz und den Verstand im VerhĂ€ltnis zu dem, was wir als die "reale Welt" kennen, weitet und fĂŒr Neues öffnet.
Aber auch Vieles was ich tat und dachte war neu, ungewohnt fĂŒr mich und oft fĂŒhlte es sich unausgegoren oder einfach hirnrissig an. Ich dachte damals, mit dieser Fahrerei wĂŒrde ich meine Zeit verschwenden, viel zu wenig sehen vom Land und mich nur stressen.

Das dachte ich, bis ich eines Tages, irgendwo oben in den wunderschönen Kimberleys, auf einer kurvigen und hĂŒgeligen Strasse, in einer sehr langgezogenen, etwas ansteigenden Kurve einen von diesen langen Roadtrains mir entgegenkommen sah. 
Er war noch weit weg, erst so gross wie ein Spielzeugauto und ich konnte die Strasse bis zu ihm gut ĂŒberblicken, sah ihre Form und Biegung, den Winkel der Steigung, die seitliche Neigung der Trasse, den Radius der Kurve, nahm die Geschwindigkeit des Trucks und die beginnende KrĂ€nkung des Fahrerhauses relativ zur StrassenoberflĂ€che wahr.

Mein, wochenlang im Modus der schwebenden Aufmerksamkeit trainiertes Hirn sendete plötzlich ein recht entspanntes Warnsignal 
 ein wenig wie ein Jingle in der Werbung eines Parfums fĂŒr Ă€ltere Damen ... sanft auf einem Klavier gespielt, begleitet von einem Cello 
 und mir wurde klar, das der Trucker seine Geschwindigkeit und die Biegung der Kurve falsch eingeschĂ€tzt hatte.
In Australien fĂ€hrt man links und ich wusste, er wĂŒrde meine linke Fahrspur auch noch brauchen um die Kurve zu kriegen. Zum Abbremsen war es zu spĂ€t fĂŒr ihn, er hatte 4 AnhĂ€nger hinter sich, die ihn schieben wĂŒrden und ich spĂŒre im meinen Eingeweiden, dass er nicht bremsen wĂŒrde, weil das die Katastrophe perfekt gemacht hĂ€tte.

Ganz ehrlich ... manchmal denke ich mir Geschichten aus oder hab beim Schreiben ein oder zwei GlĂ€schen getrunken, was meine ErzĂ€hle ein wenig bunter als die Wahrheit macht. 
Aber diesmal ist das nicht so ... es ist mein Ernst und es ist erst kurz nach Mittag und vor 4:00 am Nachmittag trinke ich nie ... also hört gefÀlligst zu! ...
... denn es geschah etwas, dass ich so noch nie jemandem erzÀhlt habe.

Ich sah die Welt um uns herum, fĂŒr, vielleicht ein paar Sekunden, in Zeitlupe, aus der Perspektive des Truckers. 
Ich sah, durch seine Augen, Flat White einige hundert Meter am Beginn der Kurve vor ihm, ich spĂŒrte die Neigung seines Fahrerhauses, die IntensitĂ€t der Fliehkraft, die auf seinen Körper wirkte, ich nahm den Beginn des seitlichen Radierens seiner Reifen auf dem Asphalt wahr, wĂ€hrend er das Lenkrad versuchte möglichst eng links zu halten und realisierte seine Weigerung zu Bremsen, sie war gleichzeitig meine eigene Weigerung, in dem beiderseitigen Wissen, dass das den Roadtrain unweigerlich in die EukalyptusbĂ€ume crashen wĂŒrde. 
Ich spĂŒrte, er war ein wenig verdutzt ĂŒber seinen Fehler, aber ansonsten entspannt und bereit aus der kommenden Aufprall das Beste zu machen und ich wusste, dass er wusste, dass seine Karten weitaus besser waren als meine. 
Dann kam so etwas wie FĂŒrsorge fĂŒr mich in ihm auf. 
Ganz ruhig sagte er zu mir: 
„Fahr auf den Sandstreifen, dort vor dem BĂ€umen“

Die Vision brach ab ...
... ich schaute nach links 
 und da war er tatsĂ€chlich, ein vielleicht 15 Meter langer Streifen aus Sand und Kies etwa 30-40 Meter vor mir. Am Ende des Streifens lag ein grosser Haufen schwarzer Steine, jeder davon so gross wie ein Fussball, dahinter stand ein grosser Baum. Ich wusste es wĂŒrde knapp werden und ich wusste aber auch es wĂŒrde passen. 

Bloss nicht panisch bremsen jetzt, denn ich fuhr sicher noch 80 Stundenkilometer. 
Flat White war schwer und alt und hatte kein ABS. 
Er ging unter der Bremswirkung sanft in die Knie, in meinem rechter Fuss fĂŒhlte ich, wie sich die Spannung in der Carrosserie aufbaute und irgendwas in mir wusste ganz genau, wie weit ich es treiben konnte, bevor sie sich entladen wĂŒrde, bevor der Wagen schleudernd ausbrechen wĂŒrde. 
Sanft aber kraftvoll, energisch und klar, wie auf einem bockenden Pferd brachte ich ihn dazu die Spur zu halten und trotzdem schnell langsamer zu werden. 
Ich wusste, ich durfte erst im letzten Moment auf den Sand fahren, denn dort wĂŒrde ich den Bremsweg nie einhalten können, ich musste ihn vorher so weit abbremsen, dass er friedlich im Sand landete.

Eine Stimme in mir sagte: „Gut so mein Junge!“ 
 ich glaube das war nochmals der Trucker, der mein Manöver beobachtete.
Einen Hauch zu schnell brachte ich Flat White in den Sand. Es knallte heftig und all mein GerĂŒmpel flog im Auto herum, als ich die 20 cm vom Strassenbelag auf den Seitenstreifen runterfuhr. 
Ich fĂŒhlte der Sand war nicht tief und darunter irgendwas Festes, also traute ich mich etwas saftiger zu bremsen. 
In einer StaubfontÀne kam Flat White knapp einen halben Meter vor dem Steinhaufen zu stehen.

Der Roadtrain rauschte, wie vorausgesehen, auf meiner  Fahrspur an mir vorbei. Steine prasselten auf die Seite von Flat White wie Hagel. 
Dann war alles vorbei. Ich liess mich in den Sitz sinken und der Trucker hupte drei mal langgezogen 
 seine Art danke zu sagen.
„Kein Ding mein Alter!“ dachte ich in seine Richtung und wusste, dass er mich hörte.

Was ich aber eigentlich erzĂ€hlen wollte, ist, dass unter der dĂŒnnen Schale der Welt, die wir als real und sicher empfinden, ganz, ganz nahe, nur einen halben Millimeter entfernt, eine andere Wirklichkeit liegt, die nicht einen Deut unwirklicher ist als die, von der wir in unseren westlichen GedankengebĂ€uden, glauben, dass sie die einzig Wahre ist.
Und ich glaube, dass wir unendlich viel Energie darauf verschwenden, diese Illusion, die unsere RealitĂ€t darstellt, aufrecht zu erhalten ... und ich fĂŒrchte, darum sind wir oft so mĂŒde und ausgelaugt und so aggressiv und traurig und, dass vielleicht die zunehmende Zahl von Depressionen auch damit zu tun hat. 
Uns gehen unsere TrĂ€ume verloren, weil wir die RealitĂ€t dieses Planeten aus den Augen verloren haben ... denkt mal drĂŒber nach!

Jede Nacht erleben wir diese andere RealitĂ€t, oder dann, wenn wir krank sind oder ein wenig Chemie schlucken oder ein Glas Whiskey, wenn wir geliebt werden oder lieben, wenn jemand stirbt, den wir liebten und einfach weg ist 
 fĂŒr immer 
 


 und „nein“ ich hab nichts getrunken 
 

 noch nicht! ... denn gleich is 4:00h!

Also 
 locker bleiben und den Blick weit halten.


Flat White ... sĂŒdlich von Cooktown, Queensland




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*„Flat White“ ist eine Bezeichnung fĂŒr die Zubereitungsvariante eines Cappuccinos, der in der Regel mit Latte Art verziert wird. Der Name kam in den 1980er Jahren in Australien auf.  Er wird in der Regel in einer Cappuccino-Tasse serviert und besteht aus einem Espresso oder Ristretto doppio und feinporig aufgeschĂ€umter Milch. Der auffĂ€lligste Unterschied im Vergleich zum Cappuccino liegt darin, dass ein Flat White einen intensiveren Kaffeegeschmack und eine geringere Milchschaumschicht aufweist.












    



aus Wikipedia

Entworfen 7. August ...
... ĂŒberarbeitet und gepostet 13.8. 2019 in Luzern.